: NEUER STREIT IN HOLLANDS DROGENPOLITIK
„Es ist Zeit für den nächsten Schritt“
Den Haag (dpa) — Die niederländische Drogenpolitik, weltweit wegen mitunter unkonventioneller Methoden beachtet, steht vor einer Zerreißprobe: Die Rotterdamer Polizei hat sich im Bereich der Drogenkriminalität für handlungsunfähig erklärt und gefordert, Heroin an Abhängige zu verteilen.
Es ist ein heftiger Streit zwischen Praktikern und Politikern entbrannt. Der Rotterdamer Hauptbahnhof ist seit Monaten überlaufener Treffpunkt Drogenabhängiger, die sich einerseits von einem Betreuungsprojekt angezogen fühlen, andererseits durch härtere Polizeimaßnahmen aus Amsterdam abwanderten.
Im Juni dieses Jahres konnten rund 100 Soldaten buchstäblich in letzter Sekunde durch die Polizei von einer „Säuberungsaktion“ auf dem Bahnhof abgehalten werden. Polizei und Stadtverwaltung haben nun erklärt, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und den kriminellen Sumpf auszutrocknen, sehe man keine andere Möglichkeit mehr, als kostenlos Heroin an die Abhängigen zu verteilen. Nur noch auf diese spektakuläre Art sei die Szene mit der sie begleitenden Kriminalität und Prostitution in den Griff zu bekommen. Der Rotterdamer Polizeichef Rob Hessing: „Es ist Zeit für den nächsten Schritt.“ Rotterdams Bürgermeister Bram Pepper betont, ein solches Vorgehen bedeute keinesfalls eine Legalisierung von Heroin. Um eine weitere Zuwanderung von Abhängigen zu verhindern, soll die Droge nur an Süchtige abgegeben werden, die schon länger in Rotterdam wohnen.
Der niederländische Justizminister Ernst Hirsch-Ballin hat zunächst einmal abgewunken: aus rechtlichen und ethischen Gründen. Der Rotterdamer Polizeichef fuhr daraufhin schweres Geschütz auf: „Die Politik konnte die Probleme bisher nicht lösen. Ich frage mich, ob sie überhaupt noch auf die Realität reagiert.“
Ob die Regierung in Den Haag die Stadtverwaltung in Rotterdam an ihrem Vorhaben hindern kann, ist fraglich: Die Stadt spricht nämlich von einem medizinischen Experiment an einer strikt überwachten Gruppe von Süchtigen. Rob Hessing: „Was wir vorhaben, können wir auch innerhalb der schon bestehenden Gesetze tun.“ Michael Segbers
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