: Weltschicksal Heimatlosigkeit
■ Die „Zweiten Freiburger Kulturgespräche“über das Thema „Kunstprodukt Heimat“
Hatten sich die „Ersten Freiburger Kulturgespräche im Marienbad“ vor zwei Jahren noch der Frage: „Was macht das Denken nach der großen Theorie?“ gewidmet, so wollten die versammelten Meisterdenker heuer im „Kunstprodukt Heimat“ einen Ausweg aus der Orientierungs- und Ratlosigkeit erproben. „Heimatlosigkeit wird Weltschicksal“ hatte schon der genius loci Heidegger geraunt, und seither ist seine Einsicht in den Weltenlauf eher noch fühlbarer geworden. Die Veranstalter — neben dem federführenden „Freiburger Institut für soziale Gegenwartsfragen“ die Karlsruher Akademie der bildenden Künste, das Morat-Institut, Institut francais und Pro Helvetia — dachten dabei zwar weniger an die Heimatlosigkeit der Flüchtlinge und Asylsuchenden als an die ontologische Unbehaustheit des Menschen, aber das wiegt innerhalb der Luxuskultur der Symposien kaum weniger schwer.
Zumal dann, wenn ein bataillistisch delirierender Mystiker wie der Tübinger „Vernunftkritiker“ Gerd Bergfleth die „exzessive Heimatliebe der Deutschen“ nicht nur für eine neue, heilige Natur- und Erdverbundenheit, sondern auch für eine „nationale Wiedergeburt“ des auserwählten Volkes in Dienst nehmen will und so an der „multikulturell-kriminellen“ Gesellschaft sein heideggerndes Mythchen kühlt. Seine skandalösen Thesen machten deutlich, daß Heimat, wenn sie nicht als „Kunstprodukt“ reflektiert, sondern als archaischer Ursprungsort romantisiert wird, immer noch Dämonen zu entfesseln vermag.
So hatte es Christian Matthiesen, der Spiritus rector des Unternehmens, gewiß nicht gemeint: Heimat, hatte er in einem Manifest ausgeführt, kann in einer Zeit, da die Utopien zusammenbrechen, die Welt durch Simulation unwirklich wird und gleichzeitig durch mediale Vernetzung und ökologische Desaster zum „globalen Dorf“ schrumpft, nicht mehr lokal definiert werden. Sie muß ihre Produziertheit einbekennen, soll sie nicht zu bornierter Nostalgie oder Folklorekitsch verkommen. Für Matthiesen stellte sich die Frage nach einer „Ortsverlagerung des Denkens“ deshalb zuallererst in einem methodischen Sinne; weshalb der in einem Flugblatt erhobene rüde Vorwurf, hier wolle die „postmoderne Lumpen-Intelligenz“ die theoretische Legitimation für die Pogrome des „neofaschistischen Mobs“ nachliefern, allenfalls für Bergfleth zutraf. Bei ihm klingen „Entortung“ und „Entfremdung“ allerdings wie Entartung und Überfremdung. Und wenn er, nach Hoyerswerda und Rostock, den heimatvertriebenen Deutschen „Humanitätsduselei“, „weltbürgerliche Lebenslügen“ und „Verrat an der nationalen Sonderart“ vorwirft, wenn er apokalyptische Drohungen vom nahen Weltende und arische Heimatkunst („Die nordische Natur ist so unerlöst wie der nordische Mensch“) zu einem grünbraunen Gebräu zusammenrührt, dann kann er sich auch nicht mehr mit Heideggers metaphysischer Unbehaustheit, Batailles Recht auf Unvernunft und Eichendorffs Heimweh herausreden.
Glanz und Elend der Philosophie liegen nah beieinander. Unmittelbar nach Bergfleths dumpfem Palaver hielt Thomas H. Macho ein spannendes Plädoyer für Flug- und Fluchtträume, gegen die breitärschige Seßhaftigkeit der auf ihren Thronen, Schemeln und heiligen Stühlen festgenagelten Sitzenbleiber. Fliehen und Wandern sei der „Normalfall der Welterschließung“, die Keimzelle von Kultur und Religion, Heimat dagegen — und in der Epoche technisch-kapitalistischer Mobilität erst recht — ein Gefängnis für ein- und aussitzende Stubenhocker. Neben der Vertreibung aus dem Paradies, die dem Heimweh als mythologische Folie diene, habe es immer auch den Exodus gegeben: Träume vom Fliegen oder doch Fliehen aus unerträglichen Verhältnissen. Insofern sollten wir die Asylsuchenden und Flüchtlinge, die Nomaden der Moderne, „nicht bemitleiden, sondern von ihnen zu lernen versuchen“.
Fast zwei Dutzend Intellektuelle— darunter immerhin eine Frau — diskutierten drei Tage in drei Sektionen über so brennende Fragen wie „Die Wüste wächst: Nomaden im Netz der Systeme“ und „Zwischen Verschwinden von Welt und Erfindung neuer Kosmologien: Die Frage nach dem Sein“. Der Kunstvermittler Bazon Brock, der zu einer blasphemischen Prozession aufgerufen hatte, bei der die Freiburger ihr „liebes Gut“ — und ihr „Liebstes gut“ — zeigen sollten, leistete am Sonntag einen unerwarteten Beitrag zur „Ökologie der Erscheinung“, indem er zu seinem Happening gleich gar nicht erschien. Das hatte Dietmar Kamper wohl nicht gemeint, als er seine Philosophie des Weg-Seins („Man muß antworten, auch wenn man die Frage gar nicht verstanden hat“) entwarf und Peter Sloterdijk die „gnostische Fundamentalkinetik“ der Umzüge vom Kleinen ins Größere erläuterte.
Die abendlichen Podiumsdiskussionen schleppten sich eher mühsam dahin. Eigentlich hatten die Zweiten Kulturgespräche, nachdem die ersten mehr „über“ der und die Welt grübelten, diesmal ja den Ausgang des Denkens aus seiner selbstverschuldeten autistischen Unverantwortlichkeit erweisen sollen, sein konkretes und, um ein Lieblingswort der Tagung zu zitieren, „emphatisches“ „In-der-Welt-Sein“. Matthiesen zögerte nicht einmal, vom „emphatischen nachmetaphysischen Begriff des Denkens“ mit Hilfe von Goethe, Marx, Baudrillard, Heidegger und Sloterdijk eine „moderne Brücke zur Substanz der Religion“ zu schlagen.
Daraus wurde dann aber nichts. „Offenbarungen“ darf man von Kongressen nicht erwarten. So mutig— für die mißtrauische Universität sprangen letztlich Sponsoren aus Industrie und Politik ein — der Versuch ist, den intellektuellen „Nomaden im Netz der Systeme“ von Zeit zu Zeit eine Heimat zu bieten: Sie gleichen immer mehr den Artisten eines Intellektuellenzirkus, die um Startgelder pokern, Migräne vorschützen, wenn ihnen die Lust vergeht, und im übrigen über Gott und die Welt reden, wenn sie nur, wie Popstars ihre Platten im Fernsehen, ihre Bücher vorstellen können. Insofern war diese Heimatsuche über weite Strecken eher eine Steigerungsform von Heimsuchung. Martin Halter
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