: Beischläfer gesucht
■ Episoden aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit: Meistens nicht er, manchmal bockt er - über die Tätigkeit des ehrenmatlichen Richters
: Meistens nickt er, manchmal bockt er — über die Tätigkeit des ehrenamtlichen Richters
Alle Jahre wieder geraten die Bezirksverwaltungen in Panik. Dann, wenn mal wieder für vier Jahre eine große Liste von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern für das Verwaltungsgericht, die Strafjustiz beim Landgericht und den Amtsgerichten zusammengestellt werden muß. Fast zeitgleich muß auch eine Liste mit Beisitzerinnen und Beisitzern für die Widerspruchsausschüsse bei den Bezirksämtern, die Ausschüsse zur Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern, für den Musterungsausschuß und einiges mehr aufgestellt werden.
Im Regelfall sind die Fraktionen in den Bezirksversammlungen aufgefordert, Vorschläge einzubringen. Dort, wo nur eine bestimmte Anzahl von BeisitzerInnen zu besetzen ist, geht es nach dem Parteienproporz. Kann keine Partei genug KandidatInnen bringen, wird in der Einwohnermeldekartei das Los gezogen, zum Beispiel bei den Schöffen für das Amtsgericht. Das ganze Verfahren klingt unheimlich demokratisch.
Bei aller Demokratie ist die Praxis jedoch die, daß Beisitzer eben nur dabeisitzen, also neben dem Vorsitzenden sitzen. Und das Wort führt der Vorsitzende. Und die Entscheidung bereitet der Vorsitzende auch vor. In vielen Fällen werden die Vorschläge des Vorsitzenden von den Beisitzern lediglich abgenickt und unterschrieben. Hier handelt es sich also eher um Beischläfer.
Es gibt allerdings auch Fälle, wo es den Vorsitzenden nicht ganz so
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2leichtgemacht wird. Z.B. mußte der Vorsitzende Richter einer Kleinen Strafkammer (ein Berufsrichter, zwei Schöffen) zweimal aus der Beratung herauskommen und mitteilen, daß der Zeitpunkt für eine Urteilsverkündung nochmals verschoben werden muß. Intern sickerte durch, der Vorsitzende Richter habe sich noch nicht gegenüber zwei resoluten Schöffinnen durchsetzen können. Am Schluß allerdings hatte er es geschafft. Die Berufung wurde dem Wunsch der Staatsanwaltschaft entsprechend verworfen.
In anderen Situationen kann man gelegentlich beobachten, wie ehrenamtliche Richterinnen und Richter eher unjuristischen Tätigkeiten ausüben. Im Verwaltungsgericht zum Beipsiel hat einmal ein Beisitzer 17 Minuten lang seine Brille geputzt.
Das ist vergleichsweise harmlos. Ehrenamtliche RichterInnen können jedoch auch Schaden anrichten. Im Sozialgericht, wo die SchöffInnen von den Versicherten bzw. den Versicherungsträgern gestellt werden, sollen sich einmal zwei Beisitzer einig gewesen sein, daß eine Frau, die eine Rente beantragte, diese selbstverständlich nicht bekomme, da sie — entgegen dem ärztlichen Gutachten — doch noch gesund aussehe. Sie sollen den Richter sogar überstimmt haben.
Im Musterungsausschuß hingegen kann es schon mal passieren, daß die beisitzende Mehrheit auch einmal Menschen zu Hilfe kommt. So etwas bringt dann den Vorsitzenden Oberregierungsrat völlig durcheinander. Im Kreiswehrersatzamt gibt es nämlich bei Widersprüchen gegen Tauglichkeitsbescheide keine Formulare für eine Widerspruchsstattgabe. Da diese in der Praxis kaum vorkommt, hat der Oberregierungsrat im Regelfall nur Formulare für eine Widerspruchszurückweisung dabei. Im Bezirksamt Hamburg-Nord wurde vor einigen Jahren extra eine Widerspruchsausschußsitzung abgesetzt, da versehentlich zwei fortschrittliche Beisitzer, die den Vorsitzenden mit Sicherheit überstimmt hätten, gemeinsam bestellt worden waren.
Es ist nicht möglich, eine eindeutige Aussage für oder gegen Bürgerbeteiligung bei Gerichtsentscheidungen oder Widerspruchsverfahren zu treffen. In vielen Fällen ist die Bürgerbeteiligung zwar eine Farce, aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Und schließlich könnten ohne LaienrichterInnen die Damen und Herrn aus Verwaltung und Justiz gänzlich unkontrolliert machen, was sie wollen. — Der Ruf nach einer Schöffenschulung wird immer lauter. Justus
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