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„Gelehrte werden zu Fachidioten“

■ Bremer Beiträge: Wilfried Gottschalch las der Wissenschaft die Leviten

Ein düsteres Bild der Universitäten heute, die zu bürokratischen Großbetrieben verkommen seien, zeichnete der frühere Bremer Hochschullehrer Wilfried Gottschalch. Der Sozialwissenschaftler, wegen dessen Berufung die FDP einst aus der sozialliberalen Bremer Koalition ausschied („1971 löste ich in Bremen eine kleine Regierungskrise aus“), war im Rahmen der Bremer Beiträge aus Amsterdam angereist. Im Gepäck: Seine neuesten Thesen über „Anarchie und Infantilisierung“ an der Uni. Die hiesigen Wissenschafts-Politiker, Senator Henning Scherf und Jörg Berndt, Hochschul-Konrektor, sowie knapp 80 ZuhörerInnen nutzten die Gelegenheit, mit dem anarchistischen Geist zu diskutieren, der 1978 nach Holland abwanderte.

Gottschalch ließ kein gutes Haar an seinem Arbeitsplatz: „Professoren und Studenten sitzen in einem Gehäuse der Hörigkeit“, wetterte er. Universitäten vegetieren nur noch vor sich hin, „weit entfernt, eine kritische Instanz zu sein.“ Forschung sei in seinen Augen nur noch die Jagd nach Drittmitteln. Die Industrie zahle, die Hochschule reagiert nach Marktlage, so Gottschalch, „pawlowschen Hunden ähnlich — mit ökonomischen Reflexen“.

Nicht nur die „mißratene Bildungspolitik sei daran schuld, daß die Uni auf den Hund gekommen sei, meinte Gottschalch. „Auch die aufgeblähte Bürokratie und pathologisch gestörte Personen in leitenden Funktionen sind für die Legitimationskrise verantwortlich“. „Die Verwaltung behindert die Forschung und Lehre“. In seinen Augen beschränkt sich die Arbeit der „Gelehrten“ mehr und mehr auf reine Verfahrenssachen: „Bürokratisches Getue und Prüfungsrituale“. Die Lehre komme dabei zu kurz, die „libidinöse Besetzung fehlt“, drückte sich der Psychologe aus.

Von Frustration war bei ihm wenig zu spüren. Er hackte mit Liebe auf der psychopathischen Veranlagung seiner Kollegen herum. „Antisoziale, pathologisch-narzistische Persönlichkeiten mit krankhaftem Führungswunsch haben bei der Pöstchenjagd die besten Chancen“, skizzierte er das Karriere-System.

Das zentrale Problem sei etwas ganz anderes, wandte Wissenschaftssenator Scherf ein, nämlich der Massenandrang an die Universitäten. Auch Jörg Berndt, Bremer Konrektor, nahm Gottschalchs Kritik nicht unwidersprochen hin. „Ich habe die Uni Bremen darin nicht wiedererkannt“, war sein Kommentar. „Pathologisch gestörte Naturen können wir uns nicht leisten“, parierte er den Angriff. Schade, daß Gottschalch nicht nur hierbei schnell seine Positionen aufgab: „Ich will keine Person angreifen“.

Wer das vom Blatt gelesene Plädoyer des Anarcho-Profs nicht ohne Fachlexikon verstanden hat, für wiederholt es Radio Bremen. Marion Wigand

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