»Bundesanwälte begleichen alte Rechnung«

■ Der wegen Spionageverdachts inhaftierte Rechtsanwalt Klaus Croissant wurde gestern in Moabiter U-Haft überstellt/ Linke Berliner Rechtsanwälte halten den Haftbefehl für völlig unverhältnismäßig

Karlsruhe/Berlin. Der am Montag in Berlin wegen Spionageverdachts verhaftete Anwalt Klaus Croissant wurde gestern von Karlsruhe in die U-Haftanstalt Moabit überstellt. Wie berichtet, legt die Bundesanwaltschaft Croissant zur Last, unter dem Decknamen »Taler« von Anfang 1981 bis zum Ende der DDR für die Hauptabteilung »Terrorabwehr« der Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter Interna aus der autonomen Szene, der Grünen und der taz zugetragen und dafür insgesamt 71.000 Mark erhalten zu haben. Croissant war am Dienstag in Karlsruhe dem Haftrichter vorgeführt worden. Dieser hatte wegen angeblicher Fluchtgefahr eine Haftverschonung verneint. Die taz bat gestern linke Berliner Rechtsanwälte um Stellungnahme zum Fall Croissant, aber nur wenige wollten sich äußern. Rechtsanwalt Nicolas Becker verurteilte den Haftbefehl. Die Annahme einer Fluchtgefahr sei völlig abwegig: »Die Bundesanwaltschaft hat offensichtlich noch eine alte Rechung mit ihm zu begleichen.« Becker spielte darauf an, daß die Bundesanwaltschaft den Anfang der achtziger Jahre wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung aus Frankreich ausgelieferten RAF- Anwalt damals nur unter Auflagen anklagen durfte. Becker bezeichnete den 62jährigen Croissant als gescheiterten, verbitterten Menschen, der sich vermutlich aus Wut über die hiesigen politischen Zustände und aus ideologischer Verblendung unabhängig vom Geld zu einer Zusammenarbeit mit der SED entschlossen habe. Für Rechtsanwalt Rüdiger Jung ist die Inhaftierung Croissants gleichfalls »ein klarer Ausdruck dafür«, daß die Bundesanwaltschaft »nach wie vor auf dem rechten Auge blind ist und alte Rechnungen begleicht«. Auch angesichts der Tatsache, daß die meisten Stasi-Informanten frei herumliefen, sei der Haftbefehl völlig unverhältnismäßig. An die taz gewandt sagte Jung: »Ich kann die Betroffenheit der taz und der Linken über den Vertrauensbruch gut verstehen.« Aber das müsse die Linke unter sich klären und dürfe nicht zu einer Akzeptanz der Inhaftierung politischer Gegner führen. Der Verfassungsrichter und Rechtsanwalt Klaus Eschen sagte: »Wenn die Bundesanwaltschaft meint, es gäbe Gründe für einen Haftbefehl, muß sie mehr liefern, als bisher an die Öffentlichkeit kam.« Eschen vermutete, daß sich Croissant nicht wegen des Geldes sondern aus Wut über die Umgangsweise des Staates »mit seinen politischen Gegnern« zur Zusammenarbeit mit der Stasi entschlossen habe. Rechtsanwalt Johannes Eisenberg erklärte: Solange nicht »die vielen Verräter«, die Interna aus Anwaltsbüros und politische Gruppen an bundesdeutsche und westliche Geheimdienste geliefert hätten, zur Verantwortung gezogen würden und in den Knast kämen, »darf man Croissant nicht einsperren«. plu