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Die Ästhetik des Widerstands 1992

■ betr.: "Ich wünschte mich manchmal weit weg...", taz vom 8.9.92

betr.: „Ich wünschte mich manchmal weit weg...“, Leserbrief von Ernst-W. Otte, taz vom 8.9.92

[...] In einer Zeit, wo das Modell Deutschland wieder einmal in allen zivilisatorischen Belangen versagt hat und Freitag abend 60 Prozent aller Haushalte um 20.15 Uhr vor der Glotze sitzen und nicht mehr als 65.000 Menschen in diesem Land eine halbwegs politisch vernünftige Zeitung wie die taz lesen wollen, da beschwert sich einer über diejenigen, die vielleicht weder Derrick glotzen noch taz lesen, aber gegen eben jene Zivilisation demonstrieren.

[...] Wenn es wirklich 14- bis 18jährige gibt, die wie Sie schreiben meinen „Ob friedlich oder militant — wichtig ist der Widerstand“, dann kann man diesen Menschen nur zustimmen. Denn die meist wesentlich älteren Demonstranten jener Bezeichnung „Schwarze Blöcke“ oder „Autonome“ haben zumindest im Gegensatz zu ihren Eltern und deren Eltern Lehren aus dem Faschismus gezogen. Willi wählen und dann mit den Notstandsgesetzen enden, ist eine Sache, aber junge Menschen, die heute fast täglich ihr Leben oder zumindest ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, weil sie die Straßen nicht dem faschistischen Mob überlassen wollen, als „hilflose Antifaschisten“ zu bezeichnen, paßt in die Ecke: Heitmeyer, Frankfurter Rundschau, Engholm und das endet dann bei Fahrtmann, Heinemann, Schäuble.

Das Rostock nicht der Ort für eine Schweigedemo mit rosa Tüchern ist, war klar, und wenn auch viele Sprüche unreif sind, ist es eine andere Qualität, als der ganze Quatsch von DGB, SPD und Kirchen — die demonstrieren zum Beispiel während des Golf-Kriegs friedlich, um letzten Endes „Notwendigkeiten“ einzusehen und allenfalls ihr Mitgefühl für die Opfer zu betonen.

AusländerInnen in Deutschland, also viele meiner FreundInnen im engeren Sinne, brauchen nicht unser Mitgefühl. Sie benötigen praktische Unterstützung, Schutz und politischen Widerstand. [...]

Das Ziel der Demonstration war eine gewaltfreie politische Aktion, die ganz entschieden ausdrückt, was sie von solchen Pogromen hält. Dieses Ziel wurde erreicht. Für einen effektiven Widerstand werden allerdings noch mehr Aktionen und Menschen zwischen 14 und 84 benötigt, auch die besserverdienenden taz-Leser. Andreas Geil, 24 Jahre, Krefeld

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