Im Dickicht der Kneipen

■ »Berlin zwischen Sekt und Selters« — Ein alter Kneipenführer ganz neu

Sage mir, wo du trinkst, und ich sage dir, wer du bist«: Der nächtliche Zug um die Berliner Häuser war stilistisch ja noch nie unkompliziert. Seit geraumer Zeit aber, da selbst in studentischen Kreisen die Kenntnis einschlägiger Sektmarken eine Frage des Bildungsstandes geworden ist, wurde der Dschungel der Kneipengroßstadt Berlin noch undurchsichtiger. Ein Kneipenführer durch das Dickicht der Stätten ist da, wo man seinem Flirt angemessen imponieren möchte, keine dumme Idee — besonders wenn das Werk einigermaßen ehrlich und so aktuell wie möglich ist.

Beide Kriterien versucht in diesem Herbst die zweite, völlig überarbeitete Auflage des Berliner Kneipenführers »Berlin zwischen Sekt und Selters« aus dem ars vivendi Verlag zu erfüllen. Auf 238 Seiten werden immerhin 217 Bars, Cafés und Nachtklubs der nun zusammen saufenden Hauptstadt getestet. Mit einem naturgemäß subjektiven Fließtext und einer Sektkelch-Bewertungsskala von »traumhaft« (6 Kelche) bis »nicht zu empfehlen« (1 Kelch) läßt sich die Meinung der neun TesterInnen recht schnell überblicken. Zwar ist die nach Bezirken geordnete Auswahl der heimgesuchten Lokalitäten (nicht nur, aber auch) dem persönlichen Geschmack der BeckmesserInnen verpflichtet — an so manch einer Bar, die es verdient hätte, ist der Kelch vorübergegangen! —, dennoch ist die porträtierte Ansammlung von »Abraxas« bis »Zur weißen Maus« der Lage der Dinge angemessen.

Wer sich »Zwischen Sekt und Selters« allerdings wirklich dienstbar machen möchte, sollte zunächst im alphabetischen Anhang systematisch die eigenen Lieblingskneipen sowie die größten persönlichen Haßobjekte der Stadt heraussuchen, um ein Gefühl für den Geschmack der TesterInnen zu bekommen. Schnell wird man so erkennen, welche Empfehlung der mit Kürzel ausgewiesenen AutorInnen dann doch eher ein Grund mehr ist, gerade dieses hochnäsige Lokal, in dem man nach der letzten Diskussion mit dem Personal die ultimative Ächtung beschlossen hatte, auch weiterhin zu meiden. Andere Lobeshymnen mögen die eigene Einschätzung wiederum so exakt treffen, daß man sich entschließen kann, auch andere mit sechs Sektkelchen bewertete Bars einmal vorsichtig anzunippen.

Objektiv, und damit wirklich auch ohne doppelten Boden informativ, ist die Spalte über das Verzehrangebot. Biermarken und -preise, das Schampusangebot und die nicht unwichtige Information, ob die Küche des Hauses nach Mitternacht womöglich schon schlafengegangen ist, erleichtern bereits vor dem Weggehen das Abstecken der Route. Mitteilungen über das örtliche Musikangebot wie »manchmal sehr hallig, in der Regel diskursfreudig« bleiben dagegen eher eine Angelegenheit lyrischen Überschwangs.

Ein im Vorwort selbst eingestandenes Manko dieses neuen Standardwerks der Kneipenkultur, über das sich die Szene auch diesmal wieder bei Bier und Wein erhitzen wird, ist eindeutig die mangelnde Präsenz der Ost-Kneipen. Vierzig von zweihundert — das entspricht nun wirklich nicht der deutsch-deutschen Realität. Hier gilt es nachzulegen, denn gerade der Ost-Dschungel hätte uns doch so sehr interessiert.

So muß man »Zwischen Sekt und Selters« dann einen kleinen Kelch für Einäugigkeit abziehen, und einen weiteren für das etwas verwirrende Layout, das den jeweiligen Kneipennamen oben auf der Seite in einer winzigen, schwarzen Dachzeile verschwinden läßt, dafür aber die gelegentlich nichtssagenden Textüberschriften übermäßig exponiert, was das erwartungsfrohe Durchblättern doch etwas erschwert. Mein Votum also: »4 Sektkelche = der Besuch lohnt sich«. Die investierten achtzehn Mark Anschaffungspreis trinken sich sicher wieder rein, nur schnell muß man sein, denn Kneipen schließen und eröffnen, renovieren und wechseln die Hausmarken. Und wo die Machete kaum eine Bahn durch den Kneipendschungel geschlagen hat, wuchert das Dickicht der Stätten wieder zu. Klaudia Brunst

»Berlin zwischen Sekt und Selters«. ars vivendi Verlag, kart., 238 Seiten, 18 DM