: Schleppnetz-Fischerei zerstört Nordsee-Boden
■ Meeresbiologen trafen sich zum Symposium auf Helgoland: "Wir wissen das alles und berichten unentwegt, aber es passiert nichts"
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»Wir wissen das alles und berichten unentwegt, aber es passiert nichts«
Der menschliche Eingriff, der in der Nordsee den größten Schaden anrichtet, ist womöglich die Fischerei. Schleppnetze zerstören die Lebensgemeinschaften des Meeres radikaler als alle eingeleiteten Schadstoffe. Das berichtete der holländische Meeresbiologe Han Lindeboom auf dem Internationalen Symposium „100 Jahre Biologische Anstalt Helgoland“.
Vor den 470 Wissenschaftlern
1aus 36 Staaten, die vom 13. bis zum 18. September auf der Nordseeinsel zusammengekommen waren, übte Lindeboom harte Kritik auch an den Fischereimethoden seiner Landsleute. Das schwere Fanggeschirr wühlt die oberen zehn Zentimeter des Meeresbodens auf. So wird jeder Quadratmeter Nordseegrund in den Gebieten intensiver Fischerei jährlich dreimal umgepflügt, mit katastrophalen Folgen
1für Pflanzen und Tierwelt des Meeesbodens. Viele Arten sind schon völlig verschwunden. Und: 80 Prozent der auf diese Weise gefangenen Schollen und anderen Plattfische sind bereits tot, wenn sie aus dem Wasser gezogen werden. Die Fischer werfen sie zurück. Lindeboom und seine Kollegen aus anderen Nordseeländern fordern daher die Einrichtung von Schutzgebieten, in denen nicht gefischt werden darf.
Anlaß des Helgoländer Symposiums war das 100-jährige Bestehen der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH), einer Forschungseinrichtung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Im Mittelpunkt der Untersuchungen auf Deutschlands einziger Hochseeinsel standen von Anfang die Tiere und Pflanzen in Nordsee und Wattenmeer. Während es vor 100 Jahren eher um Menge und Verbreitung der Meeresorganismen ging, stehen in den letzten Jahrzehnten die Auswirkungen der vom Menschen bewirkten Belastungen auf das Ökosystem Nordsee im Vordergrund. Heute hat die BAH, die vom Forschungsministerium jährlich rund 17 Millionen Mark bekommt, 174 Mitarbeiter in ihrer Hamburger Zentrale und den Stationen auf Helgoland und Sylt.
Vor Helgolands Küste läuft seit nunmehr 32 Jahren eine Langzeitmeßreihe in der Nordsee. Täglich
1werden Proben geschöpft und auf Algen und Nährstoffe untersucht. Nur durch die jahrelange Verfolgung der Veränderungen von Temperatur, Salz-, Sauerstoff- und Nährstoffgehalt sowie Algenmenge kann man zufällige natürliche Schwankungen von menschlichen Einflüssen unterscheiden und langfristige Trends erkennen.
Während die Phosphate vor Helgoland abgenommen haben, stieg der Nitratgehalt im Nordseewasser in den letzten zehn Jahren ums Dreifache, berichtet Dr. Wolfgang Hickel von der BAH. Die Kieselalgen, beliebtes Futter der Fischlarven und Kleinkrebse, weichen immer mehr den Flagellaten, zu denen auch giftige Arten gehören. „Wahrscheinlich ein Resultat der Überdüngung“, sagt Hickel, denn dieser Zusammenhang läßt sich sogar mit den Langzeitdaten nicht eindeutig beweisen. Eindeutig ist
1aber, wo-
her das Nitrat kommt. Zwei Drittel werden mit den Flüssen und von Land eingeschwemmt, ein Drittel gelangt auf dem Luftwege in die Nordsee, die Hälfte davon stammt aus den Abgasen des Kraftfahrzeugverkehrs, die andere entweicht aus der Viehmassenproduktion mit ihren Güllefluten. „Wir wissen das alles und berichten es unentwegt, aber es passiert nichts“, schildert der Planktonforscher die Frustration vieler Naturwissenschaftler.
Die Meeresbiologen wollen es aber nicht bei ihrem Frust belassen. In ihrer Abschlußdiskussion forderte Elisabeth Mann Borgese, Professorin für Internationales Seerecht und Autorin des Club of Rome-Berichtes über die Zukunft der Weltmeere, daß Meeresforscher an allen politischen Enztscheidungen beteiligt werden müßten, die die Ozeane betreffen. Vera Stadie
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