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Parole „Gute Laune“

„Bombenstimmung“ — eine zeitgeistliche Revue zum 75. Jahrestag der Ufa-Gründung im Berliner Theater des Westens  ■ Von Klaudia Brunst

An diesem Abend leuchten die Sterne im Theater des Westens. Schon lange bevor die Premierenglocke ein erstes Mal geläutet hat, blinken und funkeln die kleinen Lichtlein vom blauen Sternenhimmel herab, während drunten im Publikum die großen und kleinen Berliner Stars ihre Plätze im Parkett des Berliner Musicaltheaters einnehmen. Zum Sehen und Gesehenwerden dreht sich das Premierenpublikum nach links und nach rechts; oben auf der Bühne nimmt eine Ufa-Weltkugel diese Bewegung in göttlicher Gelassenheit auf und schwingt mit Gleichmaß im Kreise. Hier wird heute abend ein großer Erfolg gefeiert werden, das ist schon klar, bevor in der Ufa-Revue „Bombenstimmung“ ein erster Ton erklungen ist. Die Lobeshymnen aus Washington, wo die Glamourrevue aus der Feder von Jürg Burth und Volker Kühn im vergangenen Frühjahr Welturaufführung hatte, lassen das Unternehmen „Bombenstimmung“ in Berlin zu einer sicheren Sache werden. Viel sicherer als das Zadek-Projekt „Blauer Engel“, das erst unlängst zwischen diesen altehrwürdigen Wänden so derart floppte, daß es eine Art hatte. Aber wie sang schon Zarah Leander? „Davon geht die Welt nicht unter“ — und die Musicalwelt schon gar nicht.

Das Potpourri durch die letzten zwölf Jahre Ufa-Geschichte beginnt mit einem großen Finale: „Das gibt's nur einmal“ intoniert das Ensemble und zeigt uns im Walzertakt, daß es sehr wohl vortrefflich um die Welt singen und tanzen kann — grad' so wie einst die großen Ufa-Stars. Die langbeinigen Sternchen des Corps de Ballett drehen sich kunstvoll um ihre eigene Achse — eins, zwei, drei, eins zwei, drei — und Angelika Milster gibt uns auf der großen Freitreppe den Star.

In schnellen Tanzschritten geht es nun durch das Jahrzehnt des tausendjährigen Reiches, das zugleich das letzte Jahrzehnt der Ufa war. In Babelsberg wurden während der Naziherrschaft 1.350 Filme gedreht. Es waren vor allem seichte Unterhaltungsproduktionen, Durchhaltefilmchen und Hollywoodkopien, die dem diktatorischen Regime den Glanz einer Weltmacht verleihen sollten. Als Propagandaminister Goebbels 1933 die Parole „Gute Laune“ ausgab, stand die Traumfabrik vor den Toren Berlins wieder einmal vor dem finanziellen Kollaps. Mit der ausländischen Filmkonkurrenz hatte die Ufa zu keiner Zeit wirklich mithalten können. 1917 zu Propagandazwecken gegründet, war sie von jeher ein Kriegsprofiteur. Nach außen glanzvoll und elegant, war die Ufa im Innern schlecht organisiert und zuweilen geradezu planlos. Man kupferte ab, wo immer sich Vorlagen boten: Zarah Leander als Antwort auf die nach Amerika emigrierte Dietrich; Marika Rökk — vage Kopie der Step- und Tanzwunder Hollywoods.

Auch das Theater des Westens übt sich in Nachahmung. Präzise zitieren die Choreographien von Jürg Burth die nationalsozialistische Ästhetik, ihren Habitus und ihre Traumwelt — es ist genau so, wie wir es aus den vielen Ufa-Filmen kennen, die das Fernsehen alljährlich arglos im Nachmittagsprogramm wiederholt. Ein Ohrwurm folgt dem nächsten: „Jawoll, meine Herrn“, „Sing mit mir“ oder „Auf dem Dach der Welt“; Peter Kreuder, Theo Mackeben und Franz Grothe. Wer kennt sie nicht, diese harmlosen Schlagerfabrikanten, deren Ziel nicht mehr und nicht weniger war als die Erhaltung der kriegswichtigen guten Laune?

Natürlich sind sich Jürg Burth und Volker Kühn der Problematik ihrer Unternehmung bewußt. Damit ja niemand auf die Idee kommen könnte, hier werde aufs unkritischste einer vergangenen Unterhaltungsepoche gehuldigt, nur um endlich einmal wieder die alten Schlager singen zu dürfen, haben sie sich eine kleine Rahmenhandlung ausgedacht. Immer wieder lassen sie die kleine Garderobiere Waltraud (Monica Solem) über die Szene laufen. In bester Berliner Kodderschnauze kommentiert sie den Wahnsinn ihrer Epoche und bildet damit den dramaturgischen Widerpart zu Rudi (Cusch Jung), dem völkischen Emporkömmling, für den „die Kunst eine Waffe im völkischen Kampf“ ist. Helmut Baumann komplettiert das Personal mit der Figur des jüdischen Emigranten. Aufrecht und mit Verve singt er als weggejagter Staatsschauspieler Eisler-Songs und die Ballade „Es brennt“ von Moerdechaj Gebirtig — der Mann mit dem schäbigen Koffer — er steht für das „andere Deutschland“.

„Bombenstimmung“ ist deshalb aber noch lange kein ernstzunehmender Versuch, sich mit dem Propaganda-Phänomen Ufa auseinanderzusetzen. Es ist eine zusammengesuchte Schlager-Revue, die nicht einmal den sich selbst gewählten roten Faden durchzuhalten vermag. Mal geht es um den Radio-Krieg (für den die Ufa nie zuständig war), mal wird uns formschön die Erweckung des Adolf Hitler vorgetanzt, und wenn der Plot dann ganz aus den Fugen zu geraten droht, muß Waltraud eben berichten, daß sie gerade zufällig im Olympiastadion war oder jetzt im Kino sitzt.

Die „Bombenstimmung“ ist nichts weiter als eine professionell erarbeitete Glamourrevue; hier zeigt jeder, daß er viel kann: sehenswerte Choreographien, zeitgemäße Arrangements, gute Solisten — allen voran unser deutsches Musicalwunder Angelika Milster, die sich sogar ungestraft an Zarah-Leander-Lieder heranwagen kann. Dem Premierenpublikum im Theater des Westens hat es gefallen. Man schaute nach links, schaute nach rechts und freute sich über die alten Ohrwürmer, die doch wirklich „nichts Schlimmes an sich haben“. Man darf sich nichts vormachen — Eisler hin, Gebirtig her — hier und an diesem Abend soll Musik gemacht werden, bis uns der Hut hochgeht. Nicht mehr und nicht weniger. Das war schon zu Ufa-Zeiten so. Offenbar sind die Zeiten gerade nicht viel besser.

Die „Bombenstimmung — Eine Ufa-Revue“ von Jürg Burth und Volker Kühn. Regie/Choreographie: Jürg Burth, Musikalische Leitung: Adam Benzwi/Steven Smith, Bühne: Matthias Fischer- Dieskau.

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