: Rußland drängt auf Zahlungsaufschub
■ G-10-Gruppe bescheinigt der russischen Regierung Fortschritte bei Wirtschaftsreformen/ Rubel-Stabilisierungsfonds an Bedingungen geknüpft/ Unterschiedliche Interessen der Gläubiger
Washington (taz/dpa/AFP) — Die Finanzminister und Notenbankchefs der zehn führenden Industriestaaten (G-10-Gruppe) haben der russischen Regierung am Sonntag in Washington deutliche Fortschritte bei den Wirtschaftsreformen bescheinigt. Zugleich hielten die Vertreter jedoch zusätzliche drastische Maßnahmen für erforderlich, um die galoppierende Inflation in Rußland einzudämmen und den Rubel zu stärken. In einer Erklärung, die zum Abschluß des G-10-Treffens veröffentlicht wurde, bestätigten die reichsten Industriestaaten den Regierungen der UdSSR-Nachfolgestaaten, nachhaltige Anstrengungen zur Freigabe der Preise und bei der Überleitung zur Marktwirtschaft unternommen zu haben. Zur G-10-Gruppe zählen neben den G-7-Staaten USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Kanada, die Schweiz, Belgien, Niederlande und Schweden. In ihrer gemeinsamen Erklärung legten die G-10-Staaten den Ländern der Rubelzone nahe, sie sollten zur Stabilisierung der Währung Abkommen über die Koordinierung ihrer Geldpolitik schließen. Darüber hinaus müsse Rußland seine Staatsfinanzen konsolidieren und die Deviseneinnahmen erhöhen. Falls ihre Ratschläge berücksichtigt würden, wolle sich die G-10-Gruppe für einen Stabilisierungsfonds für den Rubel einsetzen, der bereits auf der IWF-Frühjahrstagung in Aussicht gestellt wurde.
Bis Ende des Monats wollte sich Rußland mit seinen Gläubigern über einen Aufschub bei der Rückzahlung seiner Auslandsschulden geeinigt haben. Doch Konflikte bei den Verhandlungen in Washington zwischen Bonn einerseits und Washington und Moskau andererseits könnten den Zeitplan durcheinanderwerfen.
Einen Aufschub um fünfzehn Jahre — so lautet die offizielle Position der russischen Delegation bei den Verhandlungen im Rahmen des Finanzministertreffens der sieben reichsten Länder (G-7) sowie der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Inoffiziell wäre man in Moskau auch schon zufrieden, wenn die Gläubiger einem Aufschub von fünf Jahren zustimmen würden.
Die haben allerdings höchst unterschiedliche Interessen. Etwa die Hälfte ihrer 70 Milliarden Dollar Auslandsschulden hat die ehemalige Sowjetunion in Deutschland gemacht.
Zu einer „erweiterten Atempause“ sei man bereit, hatte Bundesfinanzminister Waigel (CSU) am Samstag vor den Beratungen der G-7-Finanzminister erklärt, im gleichen Atemzug jedoch noch einmal die besonderen Interessen des größten Gläubigers betont. Die Finanzhilfe für Rußland möchte Bonn vor allem durch Kredite aus den westlichen Ländern gewährt wissen, eine Atempause bei der Schuldenrückzahlung will man hier auf zwei Jahre beschränkt wissen.
In Washington will man aufgrund des eigenen Haushaltsdefizits keine größeren neuen Finanzpakete schnüren, um den wirtschaftlichen Reformprozeß in Rußland abzufedern. Ein Aufschub bei der Rückzahlung kann man aufgrund des viel geringeren Umfangs verschmerzen.
Letztlich, so ein Beamter des Internationalen Währungsfonds, bedeute die offizielle Gewährung eines Aufschubs „die Anerkennung der Realität“. Denn bereits jetzt zahle Rußland nur einen kleinen Teil der Kredite oder Zinsschulden ab. Nach Einschätzung des IWF braucht Moskau für das kommende Jahr weitere 18 Milliarden Dollar an westlicher Unterstützung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen