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Die Illusion der Harmonie

■ Tatoeba — japanisch-deutscher Butohtanz in der Theatermanufaktur

Der Raum ist dunkel, und kein Laut ist zu hören. Von Punktscheinwerfern angestrahlt, stehen Puppen in prächtigen Gewändern in einigen Zuschauerreihen und über die Bühne verteilt. Nein, keine Puppen, sondern Menschen, bei genauem Hinsehen fallen winzige Bewegungen auf. Eine Hand, die sich Millimeter für Millimeter öffnet, ein Kopf, der sich unmerklich dreht. Die Ruhe überträgt sich; schweigend suchen die Leute ihre Plätze auf. Zeit scheint außer Kraft gesetzt; es dauert Minuten oder Stunden, bis die Menschenpuppen die Bühne erreicht haben. Sie nehmen in den nun entstehenden Bildern Töne und Lichtwechsel auf, alltägliche Handlungen wechseln mit rituellen Bewegungen.

»Tatoeba« — das Wort bedeutet »zum Beispiel« — heißt ein japanisch-deutsches Tanzensemble, das in seiner Arbeitsweise vom japanischen Butohtanz ausgeht. Die Wurzeln dieser Form, die in den fünfziger Jahren begründet wurde, gehen auf den Ausdruckstanz der zwanziger Jahre zurück und verarbeiten auf dieser Grundlage spezifische japanische Tanzelemente. Wirklichkeit soll dabei nicht rein gegenständlich vermittelt werden. Im Butohtanz ist Realität nicht objektiv erfahrbar; Gefühle und Ideen sind der Ursprung, aus dem heraus sich Bewegung entwickelt.

Zwei Musiker produzieren die Klänge für das Bühnengeschehen live. Versteckt zwischen Synthesizer, Percussions, verschieden großen Becken und Donnerblechen geben sie einerseits Töne vor, reagieren aber auch auf Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen. Der ganze Abend ist ein wechselndes Spiel zwischen inszenierten Handlungen und Improvisationen. Eine Stahlrohrkonstruktion mit verschiedenen Ebenen kann vielfältig genutzt werden. Zwischen den Verstrebungen schimmern riesige Staubweben oder Spinnennetze durch. Der Aufbau ist improvisiert, unvollständig. Oder vielleicht schon wieder zerstört — Endzeitstimmung.

Was so unendlich langsam begann, steigert sich im Laufe des Abends zur Bewegungs- und Klangekstase. Kämpfe werden ausgfochten, unter nicht endenwollenden asiatischen Tonfolgen, die zu Hardrock und Free-Jazz mutieren, winden sich die Körper wie unter Schüssen, versuchen, gegen Bedrohungen von außen oder Angriffe von Feinden auf der Szene anzugehen.

Dagegen sind immer wieder Ruhepunkte gesetzt. Einzelne erstarren inmitten des Getümmels. Dabei sind überraschende szenische Lösungen gefunden worden. Ein Pulk von hexenähnlichen Wesen windet sich auf dem Dach des Stahlgerüsts. Blaues Gegenlicht geht in gleißend helle Beleuchtung über, und die Hexen werden in ihren leuchtend roten Kleidern sichtbar. Schwarze, zwergenhafte Gestalten erstürmen das Dach; die Hexen versuchen, das Podest zu verlassen. Sie knoten die ausgefransten Röcke an den Stahlrohren fest, lassen sich wie an Seilen kopfüber nach unten gleiten. Aber gefangen in ihren Kleidern hängen sie wie häßliche rote Fledermäuse aufgereiht nebeneinander, werden von den Schwarzen aus den Hüllen unter Schreien herausgezerrt und abtransportiert.

Immer hoffnungsloser und dabei immer nervenzerreißender wird der Kampf. Das Schlußbild, bei dem ein überdimensional großes Tischtuch über den Bühnenaufbau gebreitet wird, sich alle Darsteller in ihren ursprünglichen phantastisch geschmückten Kleidern zum letzten Abendmahl niederlassen und die Ruhe des Anfangs in einer wiederum unendlich langen Sequenz heraufbeschworen wird, entläßt uns zwar aus diesem aufregenden Theaterabend, kann und will aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine Welt voller Frieden und Harmonie eine Illusion bleiben wird. Sibylle Burkert

The last dinner, noch bis 27.9., Hallesches Ufer; 20.30 Uhr.

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