„Wichtiger als das Gutgemeinte ist das Gutgemachte“

■ In der SPD-Hochburg Oer-Erkenschwick, am nördlichen Rand des Ruhrgebiets, sind die meisten GenossInnen froh über Engholms Kehrtwende in der Asylfrage

Peter Eisele läßt nicht locker. Trotz der Ungeduld seiner GenossInnen — „Komm zum Ende Peter“ — spinnt er sein Beispiel fort. „Was würdet ihr sagen, wenn irakische Kurden aus Protest gegen einen Giftgasangriff durch die Truppen Saddam Husseins die Bonner Botschaft des Irak stürmen würden? Sollen wir die dann abschieben — in den sicheren Tod? Wir können doch straffällig gewordene Asylbewerber nicht in Länder schicken, in denen ihnen die Todesstrafe droht!“ „Doch“, ruft Gaby Gonstalla, „die sollen sich an unsere Gesetze halten.“

Gaby Gonstalla und Peter Eisele sind GenossInnen. Der etwas rasputinartig daherkommende Eisele leitet die Volkshochschule in Oer-Erkenschwick, die zierliche, ansonsten schweigsame Zwischenruferin Gonstalla steht an der Spitze des Sozialamtes in der am nördlichen Rand des Ruhrgebietes gelegenen Kleinstadt. Hier haben ausschließlich die Sozis das Sagen, 73,65 Prozent der 29.000 Einwohner zählenden Stadt votierten bei der letzten Kommunalwahl für die SPD, 2.200 zahlen einen Mitgliedsbeitrag. „Das sind“, wie der Stadtverbandsvorsitzende Karl- Heinz Rusche stolz erzählt, „zehn Prozent der Wahlberechtigten. Das ist der höchste Organisationsgrad in Deutschland.“

Am Montag abend sind etwa 100 von ihnen zum Parteitag im Haus der Arbeiterwohlfahrt (AWO) erschienen. „Nicht besonders viel“, wie Rusche findet, „denn wir praktizieren hier Basisdemokratie. Jeder kann kommen, es gibt kein Delegiertenprinzip.“ Daß so viele Stühle leergeblieben sind, führt Rusche auf die „allgemeine Politikverdrossenheit“ zurück. Aber: „Gott sei Dank hat die SPD in Bonn beim Asyl die Wende vollzogen, die zwingend notwendig war, weil wir sonst vor Ort bald nicht mehr handlungsfähig wären.“

Von Oer-Erkenschwick will man an diesem Abend auch ein Signal in Richtung des SPD-Sonderparteitages am 14. November geben. Der Unterstützung der GenossInnen aus Oer-Erkenschwick kann sich Björn Engholm sicher sein. Die Kehrtwende, die der Parteivorsitzende im Bundesvorstand in Sachen Asyl durchgesetzt hat, macht „genau das aus, was wir schon vor einem Jahr beschlossen haben“, so Rusche. Für die Grundgesetzänderung, für die Abweisung von Asylbewerbern „aus Ländern, in denen es keine politische Verfolgung mehr gibt, bereits an der Grenze“, ist man in dieser SPD- Hochburg seit langem. Der einzige schwache Einwand dagegen kommt am Montag wieder von Peter Eisele. Die SPD müsse sich darüber mindestens die Definitionsmacht vorbehalten, sagt Eisele. Denn sonst würden Länder für verfolgungsfrei erklärt, in denen tatsächlich politische Unterdrückung herrsche. „Denkt an Chile. Dort wurden selbst unsere Genossen als Terroristen verfolgt“, ruft Eisele in den Saal, an dessen Frontseite in Sütterlinschrift das Motto der AWO prangt: „Edel sei der Mensch — hilfreich und gut.“

Doch was ist edel, was ist gut? Für Bernhard Kasperek, Vorsitzender des Recklinghausener Unterbezirks und SPD-Landtagsabgeordneter, bewirkt derjenige jedenfalls nichts Gutes, der auf neue Herausforderungen nur „Gutgemeintes“ anzubieten hat. „Wichtiger ist das Gutgemachte. Wenn wir das Problem um die Zuwanderung nicht in den Griff bekommen, wenn wir keine Antworten geben, dann holen sich die Menschen die Antworten woanders.“ Kasperek, am Montag als Referent geladen, reklamiert für sich und all diejenigen, die jetzt einen „realitätsnahen“ Anlauf zur „Problemlösung“ machen, um „wirklich Verfolgte“ und „Nichtberechtigte“ schneller trennen zu können, das Prädikat „wertbezogen“.

Handeln statt reden heißt die Botschaft

Guten Gewissens glaubt er dem neuen Kurs Engholms folgen zu können. Während die SPD in Hessen, Bremen und Bayern ihrem Vorsitzenden die Gefolgschaft versagte, darf Engholm in Nordrhein-Westfalen — insbesondere im Ruhrgebiet — auf breite Unterstützung hoffen. Bei den bisher erfolgten Delegiertenwahlen blieben die Engholm-Gegner chancenlos. Allerdings, so geschlossen wie früher schwenkt auch die Revier-SPD nicht mehr auf den neuen Kurs ihrer Obleute ein. Und es sind beileibe nicht nur die Jusos, die „das Konstrukt der sogenannten Länderlisten kategorisch ablehnen“ und die „eingeleitete Rechtswende“ geißeln. Im SPD-Bezirksvorstand Westliches Westfalen mußte sich der neue Bezirksvorsitzende Franz Müntefering, der an der Petersberger Wende maßgeblich beteiligt war, heftige Kritik gefallen lassen. Öffentlich traten gleich fünf Vorstandsmitglieder dem neuen Bezirksfürsten entgegen und warfen ihm „ein Abgehen von der Politik der linken Mitte vor“.

Am Ende verfaßte der Vorstand des mit rund 130.000 Mitgliedern größten SPD-Bezirks einen Beschluß, in dem gefordert wird, daß „auch weiterhin die Entscheidung über ein Asylbegehren eine Entscheidung des Einzelfalls bleiben muß. Deswegen können Vorschläge, die mit einer Verfassungsänderung die Nachprüfung ablehnender Asylentscheidungen durch unabhängige Gerichte abschaffen und zu globalen Lösungen über eine Liste sogenannter ,verfolgungsfreier Länder‘ ermächtigen wollen, nicht unsere Zustimmung finden.“

Skeptisch über den neuen Kurs ist auch Sabine Zech. Die Oberbürgermeisterin von Hamm möchte „erst einmal abwarten, wie das Beschleunigungsgesetz wirkt“. Die couragierte Sozialdemokratin verweist auf die Tradition des Reviers, das Ausländer im großen Umfang aufgenommen und „erfolgreich integriert“ habe. Wenn man mit der Unterbringung der Asylbewerber „sensibel“ umgehe, dann könne man nach wie vor „der Bevölkerung plausibel machen“, daß es ohne Änderung des Grundgesetzes gehe.

Grundgesetzänderung sofort, „Handeln statt reden“, das ist die Botschaft, die dagegen aus Oer-Erkenschwick dringt. „Ich bin froh über das Machtwort von Björn Engholm und hoffe, daß sich alle auf dem Parteitag dahinterstellen. Dann ist die Partei stark, und dann kann sie auch was bewirken.“ Für diesen Appell erhält der Pensionär Heinrich Mügge, Ratsherr der Stadt, an diesem Montag im AWO-Heim viel Beifall. Einstimmig verabschieden die GenossInnen den Asylantrag — auch ein türkischer Bergmann, seit Jahren Mitglied der SPD, hebt die Hand. Walter Jakobs,

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