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Das amerikanische Trauma

Die Welt ist bunt, die Welt ist schön, man muß nur diese Vielfalt sehn. Das kann man zum Beispiel beim Fernsehen, beim Zapping: Menschen, Tiere, Sensationen. Shopping, Plaudern, Serie. Und dann läuft da irgendwo in diesem Programmsalat ein Film aus den fünfziger, sechziger Jahren: Made in USA. Menschen sitzen in viel zu großen Autos, fahren durch viel zu breite Straßen, steigen in viel zu pompösen Hotels ab, sitzen in viel zu bunten Bars und kaufen in viel zu aufwendig gestalteten Läden ein. Die Häuser sehen aus wie Flakons, darinnen spiegelt es und putzt es sich, es kordelt, es glänzt und ist doch auf unbestimmbare Art und Weise elegant immer haarscharf am Kitsch vorbei. Eigentlich großartig. Ach, die Welt ist bunt, die Welt ist schön. Das amerikanische Trauma. — »Morris Lapidus. Der Architekt des amerikanischen Traums.« So ist ein Buch betitelt, das jetzt bei Birkhäuser erschienen ist und uns den amerikanischen Architekten vorstellt, der dies alles entworfen hat. In den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren richtete er unzählige Läden ein: geschwungene Linienführung, edel aussehendes Metall, freischwingende Treppen, Säulchen hier, Säulchen dort, hier eine Lampe (aber was für eine!), hier noch ein Durchblick, eine mäandrierende Wegführung — und das alles über dem »offenen Grundriß«: keine einengende Wandscheiben, sondern Glas. Hauchdünn wie Seide oder heftig prunkend wie eine Filmkulisse. In den fünfziger bis in die siebziger Jahre kommen große Hotels hinzu. Und dann kommt James Bond: Goldfinger beginnt mit einer Sequenz, die Lapidus Hotel ,Fontainebleau‘ weltberühmt macht. Alles aus dem gleichen Geiste. Lapidus baut wie kein anderer: so nicht und auch nicht so viel. Und dann kommt die Architekturkritik, die über diesen Frohsinn herfällt, als fürchte sie den Teufel. Und dann kommen die Postmodernen und entdecken ihren Übervater, ihren »Propheten«. Und jetzt kommen wir und gucken uns das alles an. In einem großformatigen Buch, das mit eigenwilligem Design, ausgefallener Typographie und überhaupt so ganz anders daherkommt. Martin Kieren

Martina Düttmann und Friederike Schneider stellen ihr Buch morgen, am Freitag, um 18.30 Uhr in der Architekturgalerie Aedes im S-Bahnbogen 600 in Charlottenburg unter dem Motto »Der Architekt als Geschichtenerzähler« vor.

Morris Lapidus. »Der Architekt des amerikanischen Traums«. Hrsg. von Martina Düttmann und Friederike Schneider. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin 1992. Englisch/deutsch, 250 Seiten, viele Bilder. 128 DM.

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