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Tod eines Lebensversicherers

■ Taboris „Die 25. Stunde“ in Düsseldorf

Den Tod totschweigen ist tödlich, ihn überwinden nicht menschenmöglich. Aber mit ihm spielen, sich mit ihm identifizieren, ist heilsam. Die einzige Chance, unseren Ängsten zu entkommen, ist, ihnen eine Gestalt zu geben und diese uns zu eigen zu machen.

Taboris 1974 entstandenes, bisher aber nur einmal in Holland aufgeführtes Stück „Die 25. Stunde“ demonstriert diese Weisheiten der Gestalttherapie an einem Lebensversicherungsagenten namens Arthur Prince, einem Verwandten Willy Lomans, des amerikanischen Anti- Helden aus Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Arthur lebt in der gesundesten aller Welten, in Hollywood, und entdeckt, daß er krebskrank ist.

Arthur Prince begegnet auf seinem Weg zum Tod nur Menschen, die den Tod leugnen. Ein pensionierter Kriminalbeamter verkündet: „Ich habe beschlossen, nicht zu sterben“, bevor er vom Schlag getroffen wird. Arthurs Sohn glaubt das Problem lösen zu können, indem er alle Fliegen totschlägt und so alle Krankheiten ausrottet. Seine Frau nutzt noch seine tödliche Krankheit für einen Vorwurf: „Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du nicht sterben.“ Erst in der 25. Stunde, der Stunde, die „offen“ ist zur Unendlichkeit“, trifft er Dr. Greenberg, die Therapeutin. In drei großen Monologen unternimmt Arthur nun, geführt von seiner Psychagogin, eine Bewußtseinsreise: Er wird zu seinem Schmerz, er wird der Tod, er wird das ungeborene Kind, das er war. Die zaghafte Hoffnung, mit der das Stück endet, ist eine doppeldeutige, fröhliche Blasphemie. Nach Arthurs Operation wird das Gebet der ans Krankenbett geeilten Familie erhört: Die Rekonvaleszenz kündigt sich an durch einen gewaltigen Furz. Vielleicht hat Arthur aber auch mit diesem verquetschten Trompetenstoß sein Leben ausgehaucht. Wie immer bei Tabori sind Kitsch und Satire, seelenkundige Weisheit und obszöne Blödelei dicht beieinander.

„Für das, was ich vorhabe, sind die Katakomben besser geeignet als die Kathedralen“, hat Tabori einmal gesagt. In Düsseldorf hat man eine Katakombe gefunden, die die Größe einer Kathedrale hat, eine abbruchreife Halle in einer Fabrik für Kraftwerkskessel. Moribund wie Taboris Held Arthur dämmert der leergeräumte Industriedom in einem Düsseldorfer Vorort der Abbruchbirne entgegen. Dieser Raum ist eine Entdeckung, die keinen Bestand haben wird. Wenn Arthur zum letzten Mal die Riesenhalle mit seinem gigantischen Todesfurz durchlüftet, wird bald auch das Ende für das Gebäude gekommen sein.

Das Düsseldorfer Schauspielhaus hat aber noch eine andere Entdeckung gemacht, die uns vielleicht noch länger erfreuen wird: eine Regisseurin. Karin Beier hat zwar Erfahrung mit seltsamen Spielorten (ein Schloß, eine Kirche, eine Garage), aber nicht mit professionellen Schauspielern. Bisher hat sie in Köln mit Anglistikstudenten Shakespeare auf englisch inszeniert. Daß sie mit solchen Räumen umgehen kann und in der Lage ist, für sie einen entsprechenden Inszenierungsstil zu finden, beweist auch ihr Düsseldorfer Debüt. Alle Zufälligkeiten des Ortes werden zu Notwendigkeiten der Inszenierung. Aus Industrieschrott werden Requisiten, ein paar stehengebliebene Druckmeßgeräte werden zu medizinischen Apparaten, das riesige Lüftungsrad dreht sich blitzend beim Auftritt der Wunderheilerin Greenberg, ein Erdloch im Betonboden wird zum Regressionsort für Arthurs Geburtsphantasien.

Zwischentöne kann man auf eine Distanz von fünfzig Metern nicht mehr hören. Also wird in dieser Inszenierung fast nur gebrüllt. Grell sind die Kostüme, groß ist jede Geste, und laut ist jeder Satz. Einer Satire bekommt Übertreibung immer gut. Nur hat Tabori auch einen Witz, der im Plauderton daherkommt, den schnellen Wortwitz des Hollywood- Gagschreibers, der Tabori wie Woody Allen auch mal war. In diesem Raum aber kann man keine Pointe servieren, man kann sie nur krachend abfeuern. So hat der Abend bei allem Humor etwas Anstrengendes, nicht nur der harten Sitzbänke wegen. Die psychologische Tiefe aber erhält die Inszenierung, ganz unabhängig von Regie und Raum, durch einen Schauspieler: Horst Mendroch spielt Arthur Princes Reise zu Geburt und Tod mit einer Intensität des Erlebens, die Taboris These von der Priorität des Schauspielers auch gegen alles Inszenierungsspektakel behaupten kann. Gerhard Preußer

George Tabori: „Die 25. Stunde“. Düsseldorfer Schauspielhaus (Fabrikhalle Lentjes). Regie: Karin Beier. Raum: Eva Humburg. Mit: Horst Mendroch, Marianne Hoika. Weitere Vorstellungen: 24.September, 3. und 6. Oktober

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