: Grenzen der Zumutbarkeit
■ betr.: "Verteidigung der Republik", taz vom 11.9.92
betr.: „Verteidigung der Republik“, Kommentar von Reinhard Mohr, taz vom 11.9.92
R.Mohr hat schon rcht, es gibt Grenzen der Zumutbarkeit angesichts der Pogrome in Deutschland. Leider verletzt sein Kommentar die grundlegenden Regeln gesellschaftlichen Anstands.
Ich weiß nicht, aus welchem Grund er den Begriff der „Bimbophilie“ diskursfähig machen will. Er begibt sich damit auf die Ebene rassistischer Begriffe wie „Judenliebchen“ oder „Niggerlover“. Die taz läßt sich nach dieser Veröffentlichung mit einer Zeitung aus der Weimarer Republik vergleichen, die nach den ersten Pogromen gegen Juden der Linken „Semitophilie“ vorwerfen will. Dieser Vergleich ist nicht so weit hergeholt, wie es zuerst erscheinen mag: mit den Roma wurde in Rostock die zweite Bevölkerungsgruppe angegriffen, die im Dritten Reich dem Völkermord der Nazis ausgesetzt war und zirka 500.000 Tote zu beklagen hat. Während die taz Israel gegenüber zum Beispiel im Golfkrieg Sensibilität aufweist und einen Begriff wie „Judenliebchen“ zur Kennzeichnung der Anhänger der militärischen Intervention sicher als rassistisch vermieden hätte, gibt es diese Skrupel gegenüber anderen Flüchtlingen und Opfern nationalsozialistischer Verfolgung offenbar nicht. Kein Hinweis darauf, daß ein Großteil der im Dritten Reich ermordeten Roma aus Südosteuropa deportiert wurde — die Scham ist vorbei, und wer für sie eintritt, ist eben bimbophil. So einfach haben es Rassisten heute, publiziert zu werden.
Herr Mohr hat auch nicht verstanden, daß es auch ohne Einwanderungsgesetz bereits heute Gesetze gibt, die Mordbrennerei verbieten („...sicher ist, daß man nicht mehr über im Freien kampierende, in Büsche pinkelnde und klauende Asylbewerber reden muß, um versuchten Totschlag zu erklären. Denn das Nähere werden dann Gesetze regeln, die für alle gelten.“). Falsch, Herr Mohr, auch heute müßten Sie angesichts der Pogrome nicht über angebliche Verfehlungen der in der ZAST nicht untergebrachten und nicht mit Sozialhilfe versorgten Flüchtlinge reden. Genausowenig, wie wir angesichts des deutschen Faschismus über Geschäftspraktiken jüdischer Kaufleute reden „müssen“. Denn auch wenn Ihre subjektive „Grenze der Zumutbarkeit“ erreicht ist, haben die Flüchtlinge in diesem Staat Rechte, die gesetzlich verankert sind — mag Ihnen das nun passen oder nicht. Und auch nach der Umbenennung von „Asylbewerbern“ in „Kriegsflüchtlinge“ werden diese so lange im Freien ohne Bereitstellung von Toiletten kampieren müssen, wie entsprechende Aufnahmekapazitäten nicht geschaffen werden. Angesichts der verschwindend kleinen Zahl der in den neuen Ländern lebenden Ausländer wird deutlich, daß die Bereitschaft, diese Kapazitäten zu schaffen, nicht durch reale Zuwandererzahlen bestimmt wird, sondern durch die gesellschaftliche Akzeptanz rassistischen Denkens. Indem Sie rassistische Begriffe wie den vom „Bimbo“ wieder hoffähig machen, leisten Sie dieser Akzeptanz Vorschub.
Ich lebe mit einer schwarzen Frau zusammen und empfinde Ihren Begriff als zutiefst beleidigend und volksverhetzend. [...] Dr.Andreas Heinz, Berlin
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