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Bahnchef Dürr schielt nach Japan

Während in Deutschland die Bahnen höhere Defizite einfahren als erwartet, gibt es in Japan Dividende  ■ Aus Berlin Annette Jensen

Die Bahn rast weiter in die roten Zahlen. Hatte Bahnchef Heinz Dürr noch im Mai ein Defizit für dieses Jahr von 12,5 Milliarden Mark vorhergesagt, rechnet er jetzt mit 13 oder gar 14 Milliarden Mark Miesen. „Besonders in den neuen Ländern ist die Bahn einer gnadenlosen Konkurrenz mit den Lkws ausgesetzt“, rechtfertigt Dürr seine Fehlkalkulation. Niedrige Löhne, die schnellere Baugeschwindigkeit von Straßen im Vergleich zur Schiene und deren kostenlose Benutzung bevorzugten die Speditionen. Für die Bundesbahn wirke sich vor allem die schwache Kohle- und Stahlkonjunktur negativ aus. Im Personenverkehr hingegen vermeldet der Bahn-Vorstandsvorsitzende eine wachsende Nachfrage um zehn Prozent.

Bei einem deutsch-japanischen Symposium gestern in Berlin versuchte Dürr, die Erfahrungen Japans mit der Bahnreform von 1987 als Werbung für seine eigenen Vorschläge zu nutzen. Tatsächlich ähneln die kränkelnden deutschen Bahnen der früheren japanischen Staatsbahn: eine riesige Verschuldung, jährliche Defizite und ein zentral organisierter, ineffizienter Apparat. Inzwischen gibt es in Japan sieben Aktiengesellschaften, die zwar alle noch in Staatshand liegen, aber privatwirtschaftlich arbeiten. „Wir können dieses Jahr erstmals eine Dividende ausschütten“, sagte Isamu Yamashita, Präsident der größten Eisenbahngesellschaft „East Japan Railway Company“. Insbesondere der Nahverkehr im Ballungsraum Tokio brächte gute Gewinne.

Auf dem Land habe es auch Streckenstillegungen gegeben. Oft würden Nebenstrecken jedoch vom Staat mit umgerechnet 340.000 Mark pro Kilometer subventioniert. Bei vielen Gleisabschnitten habe die japanische Regierung vor der Umstrukturierung dafür plädiert, auf unrentablen Strecken künftig Busse statt Bahnen einzusetzen. Für eine derartige Umstellung übernimmt die Staatskasse fünf Jahre lang das Risiko: Defizite werden zu hundert Prozent bezahlt.

Den Schuldenberg von 450 Milliarden Mark, das höchste Defizit, das je ein Betrieb eingefahren hat, wurde in Japan vom Staat übernommen. Getilgt werden sollte es vor allem durch den Verkauf von Grundstücken. „Wegen der Gefahr, die Bodenpreise noch weiter in die Höhe zu treiben, haben wir bisher jedoch darauf verzichtet“, so Akira Niwa, der an der Bahnreform im Verkehrsministerium mitgearbeitet hat.

Einen entscheidenden Kostenvorteil bei der Privatisierung hatten die Japaner allerdings. Während die deutschen BeamtInnen unkündbar sind und dieses Recht wegen der Arbeitsmarktsituation kaum aufgeben werden, fanden Japans entlassene Bahn-Beschäftigte schnell neue Jobs. Denn anders als in Deutschland herrscht dort Arbeitskräftemangel.

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