Thierse: Lohnverzicht mit Ausgleichszahlung

Bonn (taz) — Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse machte von seinem Ruf Gebrauch, daß er „nicht an eingefahrenen Strukturen klebe“: Er präsentierte gestern einen neune Vorschlag zum Thema Lohnverzicht. Nachdem er, wie es sich für einen Sozialdemokraten schickt, die Lohnverzichtsforderungen aus dem Regierungslager als „empörend einseitig“ verurteilt hatte, stellte Thierse seine Idee vor. Danach sollen die Gewerkschaften Öffnungsklauseln in Ost-Tarifverträgen akzeptieren, die untertarifliche Löhne in bestimmten Betrieben zulassen, wenn die Einkommensverluste der Beschäftigten teilweise wieder ausgeglichen werden. Dieser Ausgleich soll aus einem Topf der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit gezahlt werden. Dieser Topf wiederum soll aus einer Arbeitsmarktabgabe der Beamten, Freiberufler und Selbständigen finanziert werden.

Thierse will diesen Vorschlag vor allem bei alten Betrieben angewandt sehen, die deutlich unter der westlichen Arbeitsproduktivität liegen. Die Lohnstückkosten lägen in diesen Fällen deutlich über dem westlichen Durchschnitt, die Betriebe seien also nicht marktfähig. Ausgehandelt und vereinbart werden müßten solche Verträge zwischen den Tarifparteien, staatlich reguliert würde das Geschäft nur via Arbeitsmarktabgabe.

Thierse begründete seinen Vorschlag damit, daß ohne solche Brücken die Welle der Betriebsstillegungen unweigerlich weitergehen würde. Seine Erfahrung sei zudem, daß viele ostdeutsche Betriebsräte durchaus zu untertariflichen Vereinbarungen bereit seien, um ihre Betriebe zu retten. Mit der Ausgleichszahlung aus Nürnberg könnten sie die steigenden Lebenshaltungskosten im Osten trotz Lohnverzicht verkraften. Außerdem, so Thierse, könnten die Beteiligung der Gewerkschaften an solchen Betriebsvereinbarungen und die Ausgleichszahlungen den grundsätzlichen Bedenken der westdeutschen Gewerkschaften entgegenwirken. Das Volumen der Arbeitsmarktabgabe hat die SPD in früheren Berechnungen auf 5 Milliarden Mark beziffert. Tissy Bruns