piwik no script img

Die Partei macht Fortschritte

■ Auszüge aus dem umstrittenen Haftbericht von Dai Qing

Die Zelle war peinlich sauber, die Wände frisch gestrichen, und auf einem Schreibtisch mit drei Schubladen standen eine neue Plastikschüssel, ein Emaillebecher zum Trinken und ein zweiter zum Zähneputzen. Dazu eine große und eine kleine Schüssel mit einem Plastiklöffel fürs Essen. Außerdem gab es noch ein neues Gesichtshandtuch, eine Zahnbürste und Seife — natürlich von der groben Sorte. Auch Bettdecke, Laken und Kopfkissen waren offenbar neu. Es gab eine dünne Militärmatratze, die zwar alt, aber sauber war.

Nach einigen Minuten erschien der Mann, der mich mit aufgespanntem Regenschirm hierher begleitet hatte. Später erfuhr ich, daß er einer der Leiter dieser Abteilung war. Mit einem Lächeln (!) sagte er: „Du wirst von heute an einige Zeit bei uns bleiben. Ich hoffe, daß du dich um Kooperation bemühen wirst. Geh bitte sorgfältig mit dem öffentlichen Eigentum um, zeichne oder schreibe nicht an die Wände, singe nicht.“

Er hat wohl noch ein paar andere Verbote erwähnt, aber dabei ging es um Offensichtliches — wie zum Beispiel das Verbot, in der Öffentlchkeit auszuspucken —, so daß ich mich nicht bemüht habe, sie mir zu merken.

Wir standen zu dritt in der Zelle. Auch eine große Schließerin war dabei. Die Körperhaltung des Abteilungsleiters und der Ton seiner Worte schienen eher dem Wirt eines abgelegenen Gästehauses angemessen als dem eines Gefängnisbeamten, der einen neuen Häftling mit den Regeln der Haft bekannt macht. Er schloß mit der irritierenden Bemerkung: „Die Wächter sind leider Männer. Das tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern. Du mußt, so gut es geht, damit fertig werden.“

Mir kam es nur natürlich vor, daß die Soldaten an den Türen Männer waren, und es war mir nicht klar, wieso er sich dafür entschuldigte. Später entdeckte ich, daß sowohl in der Zellentür als auch in der Wand zum Waschraum Gucklöcher waren. Er hatte recht — ich fühlte mich dadurch wirklich sehr unwohl.

Dann gingen sie beide hinaus. Die eiserne Tür schlug hinter ihnen zu, und ein schwerer Metallriegel fiel mit lautem Krachen an seinen Platz. Danach herrschte tödliche Stille.

Ich war also am Ende doch im Gefänngis gelandet. Ich war wirklich im Gefängnis. Meine Reaktion hatte nichts mit den Gefühlen zu tun, die man normalerweise in solchen Situationen erwartet. Ich fühlte weder Schrecken noch Angst, ich war weder unglücklich, noch bedauerte ich irgend etwas. Das erste, was mir in den Kopf kam, war, ob man es glaubt oder nicht, ein Witz, den ich meinen Freunden erzählen wollte, sobald ich rauskam: Obwohl ich es nie zu einem offiziellen Posten gebracht habe, werfen sie mich in ein Gefängnis für Abteilungsleiter.

Später begriff ich langsam, daß ich den Rang der Gefangenen in diesem Flügel bei weitem unterschätzt hatte. Ich bewohnte hier eine Zelle, wie sie Größen wie Herrn Peng Zhen, dem Ex-Vorsitzenden des Ständigen Komitees der Nationalen Volksversammlung, Herrn Lu Dingyi, dem früheren Propagandaminister, oder Frau Wang Guangmei, der Witwe des Staatspräsidenten Liu Shaoqi, vorbehalten sind — ganz zu schweigen von einer unserer größten Schriftstellerinnen, Ding Ling. Fast könnte man sagen, daß ich in ihre Fußstapfen getreten bin.

Mein erster Eindruck von der großen Schließerin, die mich bei meiner Ankunft gefilzt hatte, war eher beängstigend gewesen. Sie war zufällig auch die einzige hier, die eine sehr laute Stimme hatte. In Wirklichkeit jedoch war sie eine sehr anständige Person. Zu Essenszeiten ermunterte sie mich immer, doch mehr zu essen. „Die Pastetchen sind heute mit roten Bohnen gefüllt, schmeckt wirklich gut. Nimm ruhig noch eines.“ Und ich war nicht die einzige, der ihre Fürsorge galt. Da sie eine furchtbar laute Stimme hatte, konnte ich hören, wie sie auch den anderen Gefangenen am Ende des Korridors den gleichen Rat gab. Sie wußte, daß ich diesen Tick mit dem Waschen hatte, und einmal, als der Heißwasserboiler kaputt war, machte sie mir selbst Wasser heiß und brachte es mir in einer Thermoskanne, ohne daß ich darum gebeten hätte.

Meine langen Haare waren mir hier im Gefängnis ziemlich lästig. Eingesperrt wie ich war, wurde mir mein Aussehen ziemlich gleichgültig, und ich bat sie, mir die Haare kurzschneiden zu helfen. Sie weigerte sich: „Das sähe doch schrecklich aus.“

Einmal kam sie zu mir in die Zelle, um mir irgend etwas zu sagen, aber sie blieb weit entfernt von mir stehen und hielt sich beim Sprechen die Hand vor den Mund. Als ich sie fragte, was los sei, sagte sie, daß sie erkältet sei und mich nicht anstecken wolle.

Zu ihrer Arbeit gehörte auch die Ausgabe der Bücher. Einmal hatte ich sie um einige bestimmte Bücher gebeten, die lange nicht geliefert wurden. Erst später hörte ich, daß die Gefangene, die sie vor mir ausgeliehen hatte, etwas mit der Leber gehabt hatte (vermutlich Gelbsucht) und sie die Bücher vor dem Weitergeben sterilisieren wollte.

Die Untersuchungsbeamten imponierten mir. Natürlich war es gar keine Frage, daß unsere Meinung zu fast allen angeschnittenen Themen völlig unterschiedlich war — und dennoch entledigten sie sich ihrer Aufgabe mit echter Professionalität. Sie arbeiteten daran, festzustellen, was tatsächlich geschehen war und gründeten ihre Entscheidung auf die juristische Fragestellung, ob ich an „der Agitation und der Planung und Ausführung von konterrevolutionären Unruhen“ beteiligt gewesen sei. Selbstverständlich akzeptierte ich den Grund für ihre Untersuchung nicht, aber darin hatten auch sie, wie ich wußte, keine Wahl.

Ich möchte noch betonen, daß sie während der Verhöre und Untersuchungen nicht ein einziges Mal versuchten, durch Druck oder schmutzige Tricks Aussagen von mir zu erpressen, auch dann nicht, wenn ich „eine schlechte Position“ einnahm. Und ich drückte an keiner Stelle etwa meine Reue aus, da es absolut nichts gab, was ich zu bereuen hatte. Ich achtete darauf, daß in meinen schriftlichen Aussagen die Worte „Unruhen“ und „Aufstand“ in Anführungsstriche gesetzt waren. Dies alles schien ihre Untersuchung und Analyse der Fakten jedoch nicht zu beeinflussen.

Die Kommunistische Partei Chinas hat im Laufe der Jahre viele Fehler begangen. Selbst heute sind ihre Mängel noch beträchtlich, einschließlich der Verantwortung für die Verabschiedung einiger verheerender Gesetze. Dennoch macht sie Fortschritte. Als kritische und unabhängige Intellektuelle darf ich das nicht übersehen. Wer für eine wirkliche Verbesserung der Situation in China ist, muß den kleinen Verbesserungen, die es eben auch gibt, besondere Aufmerksamkeit schenken und sie ernst nehmen, auch wenn die eher schlimmen Dinge beinahe gänzlich den Blick auf sie verstellen. Meiner Ansicht nach ist dies die wichtigste Lektion für die Sympathisanten der Studentenbewegung von 1989.

Die Kette der tragischen Ereignisse hätte vielleicht verhindert werden können, wenn die Studenten und Bürger von Peking Anfang Mai den auf die Massendemonstrationen vom 27. April folgenden Versprechungen der Regierung Beachtung geschenkt hätten. Sie hätten der Regierung vielleicht eine Chance geben sollen zu beweisen, daß (Staatsratsprecher) Yuan Mus Versicherung, „das Zentrum wird nicht mehr nach Beidaihe (Luxusbadeort an der Küste) gehen und keine Luxuslimousinen mehr importieren“, kein leeres Versprechen war. Wenn sie doch nur gesehen hätten, daß die KP Fortschritte macht. Wenn sie ein wenig länger hätten warten können.

Mit meiner Haft geht es mir ähnlich. Natürlich hätte man mich gar nicht erst einsperren dürfen. Aber im Laufe der Jahrhunderte sind so viele Menschen, die nicht ins Gefängnis gehörten, eingesperrt worden. Und wie viele sind umgekommen durch Exekutionen, Unterernährung, Kälte und alle möglichen Krankheiten oder überlebten nur als lebende Tote? Daß man mich während meiner Haft so behandelte, mir Untersuchungsbeamte und Schließerinnen wie diese gab, bewies doch, daß die Kommunistische Partei Chinas Fortschritte macht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen