KOMMENTAR
: Quälpotential Konrad

■ Salzgitter im Herbst: Ein Atommüllendlager wird erörtert

Im Jahr 1942 entfesselte Enrico Fermi mit der ersten atomaren Kettenreaktion die Kräfte, die alle Materie zusammenhalten. Im Jahre 1992 wartet der von Fermi produzierte Atommüll und mit ihm strahlende Last aus 29 Ländern der Erde, die Atomkraftwerke betreiben, auf seine Beseitigung. Ungelöste Entsorgung heißt das sprichwörtliche Problem der Atomspalter aller Länder. Sie haben eines gemeinsam: Atommüll satt und schlotternde Knie beim Blick in die Zukunft.

In Deutschland soll ein Teil der strahlenden Abfälle im ehemaligen Eisenerzbergwerk Schacht Konrad verschwinden. Schon 1988 sollte der Schacht als atomarer Donnerbalken in Betrieb gehen. Doch der Streit um seine Eignung als Endlager, der heftige Widerstand der Bürgerinitiativen und der Wahlerfolg der niedersächsischen Grünen ließen die Atomträume platzen. Jetzt steht es spitz auf Knopf. Wenn Konrad nicht bis spätestens 1995 betriebsbereit ist, wird der mühsam kaschierte Entsorgungsnotstand in seiner ganzen Dramatik sichtbar. Für den ab 1994 aus Frankreich und Großbritannien von den Wiederaufarbeitungsanlagen zurückgelieferten Atommüll gibt es dann keine Zwischenlagerreserven mehr.

Keine Frage: Schacht Konrad ist zum Schlüsselprojekt der Atomindustrie geworden. Das „Quälpotential“, das die rot-grüne Landesregierung mit ihm in der Hand hält, ist riesig. Sie wird auf Zeit spielen und versuchen, den Schacht in bewährter Manier streng nach Recht und Gesetz zu Tode zu genehmigen. In Deutschland ist dies bis heute die einzige Möglichkeit, um den atomaren Alp abzuschütteln und Ausstiegsspolitik konkret umzusetzen. Für diese Ausstiegspolitik hat Rot-Grün einen Wählerauftrag erhalten. Wie man Atomanlagen kaputtgenehmigt, hat die NRW-Landesregierung beim schnellen Brüter vorgemacht. Joschka Fischer in Wiesbaden und Günter Janssen in Kiel haben ebenfalls beachtliche Erfolge erzielt.

Während Ministerin Griefahn die gestern begonnene Erörterung von 290.000 Einsprüchen gegen den Schacht als willkommene Profilierungschance nutzen will, liegt der Umweltminister in Bonn auf der Lauer, um aufs Tempo zu drücken. Schon vor Beginn drohte er mit der Keule bundesaufsichtlicher Weisungen, falls Griefahn die Interessen des Bundes mißachte. So darf sich denn die Öffentlichkeit auf ein vergnüglich langes Erörterungsverfahren freuen, bei dem einmal nicht Atomgegner gegen Nukleokraten anrennen, sondern Einwender und Genehmigungsbehörde dieselben Interessen verfolgen, während der eigentliche Widersacher in Bonn sitzt. Ministerin Griefahn hat als Verfahrensführerin alle Trümpfe in der Hand. Minister Töpfer hat nicht viel mehr als den Schaum vor dem Mund und die Atommafia im Kreuz. Manfred Kriener