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Kein Platz für Ruandas Rückkehrer

Im ostafrikanischen Ruanda herrscht trotz Waffenstillstands noch kein Frieden/ Die Dialogbereitschaft der Regierung gefällt vielen nicht, und ethnische Spannungen wachsen  ■ Aus Kigali Fran¿ois Misser

Jeden Tag werden im Krankenhaus von Byumba Beine amputiert. Sie gehören Männern, Frauen oder Kindern, die sich in die Bananenplantagen und Bohnenfelder vor der Stadt gewagt haben, um Nahrung zu suchen. Die Felder sind verlassen, seitdem im Juni die Guerilla „Ruandesische Patriotische Front“ (RPF) in die Region einmarschierte; sie stecken jetzt voller Minen.

Aber das wußten die Menschen im Krankenhaus nicht. Sie gehören zu den 350.000 Kriegsflüchtlingen, die jetzt aufgrund des seit 1. August geltenden Waffenstillstandes zwischen Ruandas Armee und RPF zurückzukehren beginnen. Die Rückkehrer leben unterernährt in Notunterkünften und sind bei den sonstigen Bewohnern der Gegend nicht beliebt. Unter den Babys wüten die Masern, viele Kinder sind unterernährt. Und seit dem Beginn der Regenzeit vor einigen Wochen fürchten die Krankenpfleger, daß sich zu Lungenentzündungen Cholera gesellt.

Es ist vor allem die wachsende Zahl der Rückkehrer und die dadurch entstehenden Spannungen, die Ruandas Regierung zu immer weiteren Gesprächen mit den Rebellen bewegen. Am 5. Oktober soll die nächste Verhandlungsrunde beginnen, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem ersten Einfall von RPF-Einheiten über die Nordgrenze aus Uganda.

Die letzte Gesprächsrunde vom 7. bis 18. September hatte mit Zugeständnissen des Präsidenten Juvenal Habyarimana geendet: Die RPF soll Ministerposten in der Regierung erhalten und bekommt bei den nächsten Wahlen sieben Prozent der Parlamentssitze garantiert. Und das endgültige Abkommen zwischen Regierung und RPF soll der Verfassung Ruandas übergeordnet sein.

„Extreme Hartnäckigkeit“ bescheinigt Außenminister Ngulinzira der Rebellenfront, die auf diese Weise einen politischen Sieg nach dem anderen erzielt. Nächster Streitpunkt: die zukünftige Macht des Staatschefs. Die FPR will seine Befugnisse einem nichtgewählten „Versöhnungsrat“ übertragen, der aus seinen Reihen einen Staatspräsidenten bestimmt. Das lehnt Premierminister Nsengiyaremye als „gefährlichen“ Präzedenzfall ab, der „geradewegs zur Diktatur führt“.

Auch militärisch ist die FPR stark. Sie kontrolliert zehn nördliche Regionen an der Grenze zu Uganda. Die Regierungstruppen sind demoralisiert: Von ihren 40.000 Soldaten erhielten über 30.000, abgesehen von zwei Wochen Training, keinerlei militärische Ausbildung, bevor sie an die Front geschickt wurden. Nach Fraternisierungen zwischen Regierungssoldaten und Guerilleros wurde Generalstabschef Laurent Serubuga im Juni wegen Unfähigkeit zwangspensioniert.

Die Eroberung Byumbas durch die RPF im Juni war für die Regierung ein schwerer Schock. Nur die Präsenz französischer Militärberater hinderte die Guerilla daran, geradewegs weiter auf die Hauptstadt Kigali vorzurücken. Nachdem die RPF aus Byumba wieder abgezogen war, plünderten Regierungssoldaten den Ort. Heute ist Byumba in weiten Teilen eine Geisterstadt, wo versprengte Soldaten wie Obdachlose durch verlassene Ladenzeilen irren.

Seit dem Eintreten des Waffenstillstandes am 1. August wird weniger hart gekämpft. Das bestätigen auch die französischen Militärs, die im Norden Ruandas zwischen Ruhengeri und Base patrouillieren, um die dort arbeitenden Entwicklungshelfer zu beruhigen. Doch die Beobachtergruppe der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) berichtet von mehreren Scharmützeln. Aber die Beobachter, die mit der Überwachung des Waffenstillstandes beauftragt sind, verfügen nicht über ausreichende Materialien, um ihre Mission zu erfüllen: Sie haben weder Hubschrauber noch Funkgeräte, und die senegalesischen und nigerianischen Offiziere der Gruppe müssen jeden Abend zum Schlafen in die Hauptstadt zurückkehren.

Der mangelnde Überblick spielt Extremisten beider Seiten in die Hände. So rekrutiert die Regierungspartei MRND und eine von ihr abgespaltene Gruppe aktiv Kämpfer unter zurückgekehrten Flüchtlingen. Menschen, denen die RPF Vieh gestohlen hat oder deren Angehörige auf Bajonetten aufgespießt wurden, lassen sich leicht davon überzeugen, gegen „den Feind“ aufzustehen — wie bei dem Freiheitskampf von 1959, der die belgische Kolonisierung und die Herrschaft der schmalen Elite des Tutsi-Volkes beendete. Und sogar das nationale Radio sendet ausführliche Kommentare aus dem Norden des Landes, die die Verhandlungen der Regierung mit den Rebellen verurteilen.

Und je stärker die RPF auf dem Terrain erscheint, desto stärker ist auch der ethnische Haß. Die RPF gilt als Armee der 1959 entmachteten Tutsis, die damals zu Hunderttausenden ins Ausland flohen. Militante Mitglieder des Mehrheitsvolkes der Hutu, das seither in Ruanda regiert, haben jetzt regelrechte Pogrome gegen verbliebene Tutsis durchgeführt. Ende August wurden in Kibuye 600 von Tutsis bewohnte Hütten verbrannt, sechs Menschen kamen ums Leben. Es hat Attentate auf dialogwillige Politiker gegeben.

Und die Konflikte könnten noch explodieren. Auf den Märkten der Hauptstadt kostet eine Handgranate umgerechnet vier Mark. Für den doppelten Preis findet man auch jemanden, der sie an den gewünschten Ort wirft. Der Stellungskrieg an der Guerillafront ist im Begriff, einem generalisierten Bürgerkrieg zu weichen.

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