: „Es ist erschreckend, daß die Täter immer jünger werden“
■ Interview mit Wolfgang Pfaff, Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, über seine Einschätzung der rechtsextremistischen Szene
taz: Herr Pfaff, wie viele rechtsextremistische oder ausländerfeindliche Übergriffe sind in diesem Jahr gezählt worden?
Wolfgang Pfaff: In der Zeit vom 1.Januar bis zum 6.September wurden beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz etwa 970 Gewalttaten registriert, von den 410 in West- und 460 in Ostdeutschland verübt wurden. Damit sind die Zahlen des letzten Jahres bereits überschritten. Es handelt sich hier aber ausschließlich um Gewalttaten, das heißt, Hakenkreuzschmierereien und andere Delikte sind nicht aufgeführt. Den Zahlen ist auch nicht zu entnehmen, daß die Brutalität der Angriffe auf Ausländer und Asylantragsteller stark zugenommen hat.
Wo verläuft Ihrer Meinung nach die Trennungslinie zwischen dem Beifall aus Teilen der Bevölkerung und organisierten rechtsextremen Strukturen, die möglicherweise die Vorfälle steuern?
Der vermeintliche oder tatsächliche Beifall, den die Anschläge in Einzelfällen finden, führt — wie die Aufmerksamkeit in den Medien — dazu, daß sich Randalierer ermuntert fühlen. Die Jugendlichen fühlen sich in ihrem Selbstwertgefühl dadurch gesteigert, daß sie Aufmerksamkeit finden. Bei den letzten Anschlägen ist allerdings erschreckend, daß die Täter immer jünger werden. Es sind zunehmend 15-, 14- oder 13jährige Jugendliche dabei, wenn Asylbewerberheime attackiert werden. Das schließt auf der anderen Seite aber auch aus, von organisierten Strukturen zu sprechen. Es wäre verfrüht, diesen sehr jungen Menschen eine feste rechtsextremistische Orientierung unterstellen zu wollen. Manche dieser Jugendlichen lassen sich allerdings durch rechtsextremistische Parolen prägen. Das geben sie bei Befragungen auch freimütig zu — selbst wenn sie intellektuell gar nicht nachvollziehen können, was sie da anrichten.
Auch bei den etwas Älteren beobachten wir eine nicht unbedingt verinnerlichte rechtsextremistische Grundhaltung. Wir beobachten derzeit ein ziemlich breites Spektrum einer sich formierenden alternativen Jugendkultur, besser Unkultur, von rechts. Diese baut sich auf und wird von den neonazistischen Organisationen benutzt. Diese Gruppen sind zwar klein, aber ihr Einfluß reicht bisweilen in die Kreise der Jugendlichen hinein. Daß die Neonazigruppen Anschläge steuern oder etwa wie in Rostock für den Tag X Pläne in der Schublade haben, ist gewiß nicht so. Diese Gruppen springen eher nachträglich auf die Welle der Gewalt auf, um den propagandistischen Effekt für sich zu nutzen.
In Rostock war zu sehen, wie ein Teil der Angreifer Mobilfunkgeräte benutzte. Da fragt man sich schon, ob es nicht feste organisatorische Strukturen gibt.
Die Überlegung liegt nahe. Aber auch die Leute, die CB- Funkgeräte benutzten, gehören aus unserer Sicht nicht nachweisbar zur engeren Struktur neonazistischer Parteien. Sie sind Mitglieder gewalttätiger Cliquen mit rechtsextremistischer Grundorientierung, aber meist ohne organisatorische Verfestigung. Das Phänomen, das wir aller Orten entdecken, ist, daß die Täter sich spontan zusammenfinden. Oft sind es Jugendcliquen. Sie entwickeln keine festen oder überregionalen Strukturen. Man kennt sich, spricht sich ab, vielleicht auch mit der Clique im Nachbarort — aber das ist noch nicht die Vorform einer Partei oder Organisation.
Wodurch zeichnet sich für Sie die rechtsextremistische Grundhaltung aus?
Das auffälligste Merkmal ist eine Ausländerfeindlichkeit, die mitunter durch rassistische Anschauungen verstärkt wird. Die Ausländerfeindlichkeit selbst ist häufig wiederum nur Symptom oder Ausdruck einer tieferliegenden Frustration, die durch soziale Probleme bedingt ist.
Das gilt für Ost- wie Westdeutschland?
Im Westen ist das treibende Motiv eher die Angst um Besitzstände. In Ostdeutschland liegt der Resonanzboden mehr im sozial verunsicherten und abgedrängten Teil der Bevölkerung. Das dürfen wir aber auch nicht überschätzen. Alle Umfragen zeigen: Wenn heute gewählt würde, bekäme eine Partei wie die der rechtsradikalen „Republikaner“ in Westdeutschland doppelt so viele Stimmen wie in Ostdeutschland.
Das erklärt aber nicht die zunehmende Brutalität, mit der gegen Flüchtlinge vorgegangen wird.
Im Westen Deutschlands weiß man auch in rechtsextremistischen Kreisen, daß der Staat Gewalttaten nicht tatenlos zusieht. In Ostdeutschland ist es teilweise noch so, daß ausgelotet wird, wann der Staat eingreift. Auf der anderen Seite spielt auch der Glaube eine Rolle, daß man damit etwas erreichen kann.
Wie schätzen Sie das Potential neonazistischer oder rechtsextremistischer Gruppen ein?
In Brandenburg gibt es die Deutsche Alternative (DA) und die Nationalistische Front (NF), die erkennbaren Einfluß ausüben. Die DA ist vor allem im Großraum Cottbus zu Hause. Ihr ist es gelungen, in der rechten alternativen Jugendszene Fuß zu fassen. Ihr Anführer Hübner kommt selbst aus der Skinhead-Szene. Er ist nach der Wende von Michael Kühnen nach Cottbus gschickt worden, mit dem Auftrag, Kühnensche Ideen zu propagieren und eine entsprechende Truppe aufzubauen. Die DA hat neben Brandenburg noch beim Bundeswahlleiter gemeldete Landesverbände in Sachsen, Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz. Ihr Zentrum ist aber Brandenburg. Nach eigenen Angaben hat sie bis zu 800 Mitglieder, was ziemlich zweifelhaft sein dürfte. In Brandenburg sind es etwa 200.
Auch die Nationalistische Front ist, wie praktisch alle selbständigen Parteistrukturen, nach Brandenburg importiert worden. Die NF ist planmäßig vom Westen aus aufgebaut worden.
Gibt es Hinweise auf die Gründung von Wehrsportgruppen?
Bei der NF gab es Überlegungen. Herr Schönborn wollte immerhin ein „Nationales Einsatzkommando“ gründen. Die NF veranstaltet auch immer wieder Übungen wie Wehrmärsche. Waffen waren bisher noch nicht dabei. Schönborn wollte offensichtlich dieses „Programm“ forcieren. Darüber ist es dann in der NF zu Kontroversen gekommen. Wir haben noch keine Erkenntnisse, daß dieses Einsatzkommando tatsächlich existiert. Für Brandenburg gilt: Es gab immer wieder einmal Hinweise, daß Rechtsextremisten versuchen, sich Waffen zu besorgen, und Wehrsportgruppen gründen wollen. Bisher ist es aber nur bei Plänen geblieben. Interview: Wolfgang Gast
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