piwik no script img

Labour Party streitet über Maastrichter Verträge

■ Vertragsgegner Gould trat zurück/ Streit bestimmt Parteitag in Blackpool

London (taz) — Der Parteitag der britischen Labour Party, der gestern im englischen Seebad Blackpool begann, wird vom Rücktritt Bryan Goulds überschattet. Gould war bisher „Experte für kulturelles Erbe“ im Schattenkabinett der oppositionellen Labour Party. Bei der Wahl für die Nachfolge Neil Kinnocks als Parteiführer war er im Juli seinem Rivalen John Smith deutlich unterlegen. Seitdem war Gould vehement gegen eine Ratifizierung der Maastrichter Verträge und für ein Referendum in Großbritannien eingetreten. Auf der Vorstandssitzung legte die Parteiführung in der vergangenen Woche jedoch mit 88 Prozent der Stimmen eine entgegengesetzte Linie fest: Labour ist gegen ein Referendum und für Maastricht. Die Partei fordert weiterhin die Einbeziehung einer Sozialcharta, was die Tory-Regierung bereits bei den EG-Verhandlungen im vergangenen Jahr abgelehnt hat.

Zunächst hieß es, Bryan Gould habe sich mit Parteiführer Smith gütlich geeinigt. Doch am Sonntag abend warf Gould der Parteiführung vor, sie unterdrücke eine echte Diskussion über die Maastrichter Verträge. Vor dem Labour-Ausschuß für den gemeinsamen Markt sagte er, der Zeitplan für die europäische Währungsunion werde zum „endgültigen Sieg der Bankiers über die Demokraten“ führen. Goulds Rede wurde von den Euro-Gegnern in der Labour Party begeistert aufgenommen. Eine erhebliche Zahl von Labour-Abgeordneten ist davon überzeugt, daß ein „Nein“ bei einer Volksabstimmung über die Maastrichter Verträge zum Sturz der Regierung führen würde.

Der Zeitpunkt des Rücktritts am Vorabend des Parteitages hätte für Smith nicht ungünstiger sein können. Der Parteitag sollte zu einer Demonstration der Einheit vor allem in wirtschaftlichen und europäischen Fragen werden. Dieser Plan war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da zahlreiche Hinterbänkler in den vergangenen Wochen die proeuropäische Haltung der Parteiführung scharf kritisiert haben. Im Vordergrund der Konferenz in Blackpool sollte „die ökonomische Katastrophe der Tory-Regierung“ stehen. Der Sprecher für Außenhandel, Robin Cook, sagte jedoch gestern: „In der vergangenen Woche haben wir die Inkompetenz der Regierung und steigende Arbeitslosenzahlen erlebt. Dennoch steht bei den Berichten über unseren Parteitag der Rücktritt Bryan Goulds im Vordergrund. Das ist alarmierend, tragisch und niederschmetternd.“

Heute muß Smith Farbe bekennen. In seiner ersten Grundsatzrede als Parteichef wird sich zeigen, ob es ihm gelingt, der Partei neue Impulse zu geben. Das wird ihm nicht leichtfallen, zumal die nächsten Wahlen erst 1997 fällig sind. Darüber hinaus hat Smith, der dem konservativen Parteiflügel angehört, die von seinem Vorgänger Neil Kinnock begonnene Sozialdemokratisierung konsequent fortgesetzt. Nicht nur bei den Maastrichter Verträgen, sondern auch bei zahlreichen anderen Programmpunkten sind Unterschiede zu den Torys nur noch schwer auszumachen.

Ob Gould seinen Posten im Parteivorstand behält, ist ungewiß. Die Wahl fand zwar bereits am Sonntag vor der Bekanntgabe seines Rücktritts aus dem Schattenkabinett statt, doch das Ergebnis stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest. Gould macht sich keine Illusionen über seine Zukunft: „Man wird sich sehr schnell von mir distanzieren und mich an den Rand drängen, weil ich beschlossen habe, meine Meinung zu sagen.“ Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen