Sanssouci: Vorschlag
■ Galliano im Tempodrom
Moderne HipHop-Philosophie heute: Ihre Dichtung ist die Kontrolle der Sprache, so wie Tanz den Körper und der Rausch das Bewußtsein überprüft. Galliano macht Poems zu angejazztem HipHop und kifft. Der Chefdenker des vereinigten Stüssytums muß sich also selbst transzendentaltechnisch ziemlich gut unter Kontrolle haben. Als bekennender Existentialist, der auch ein bißchen mit New Age liebäugelt, hat er aber trotzdem eine Menge Probleme zu lösen, die ihn daran hindern, der Dinge zu harren, die da auf ihn zukommen — sei es, daß ihm der Himmel auf den Kopf fällt oder das Hasch zur Neige geht. Statt ganzheitlich in irgendeinem Londoner Wohnloch im Südosten dahinzuvegetieren, macht Galliano Rap mit Botschaft, in der er sich darum sorgt, daß Kriege und Hunger existieren; daß der Regenwald nicht stehenbleibt; daß Aids kein Einhalt geboten wird und daß sich Schwarz und Weiß den Schädel einschlagen. Er will das Vernichten vernichten, zumindest im Hier und Jetzt, dem der entspannte Ire mit dem wohlgeformten Zungenschlag frönt.
Also raus aus der Hängematte, hinein ins Nachtleben und das Erdenvolk bekehren. Das ist der Doublebind, aus dem Popstars geschnitzt sind: Being-Doing, Sein und Machen, Sein-machen. Aber anders als Wecker, Wader oder Sting schafft Galliano den Spagat zwischen Teestube und Diskothek. Dabei kommt ihm ein Trick zur Hilfe, den immer mehr Waisenkinder von Analyse und Ideologie anwenden: Er sucht sich ein paar Gleichgesinnte und gründet eine Familie. Nicht eine dieser mordenden und brandschatzenden Posses oder Gangs, die im amerikanischen HipHop ihr Unwesen treiben und damit die Bürger verschrecken, sondern eine schrecklich nette Familie aus der Nachbarschaft — so wie »Earth mother« Beimer und die Kids aus der Lindenstraße.
Die zieht auch musikalisch ihre Kreise: Die Band lädt ein zu Gospelstunde und Ausdruckstanz. Der Mann am Klavier träumt von seiner Jugend, als Chick Corea noch forever returnte. Die Bongospieler sind in Leidenschaft zu Curtis Mayfield und schlafwandlerischem Harlemsoul entbrannt, der Poet selbst taumelt auf den Pfaden Afrikas, wo er sein verloren geglaubtes Mutterschiff wiedergefunden hat. Richtig schwarz wird er dadurch zwar nicht, aber den weißen Jugendlichen hilft es, sich das Leben auf der Straße besser vorzustellen. Ein wenig Weißwäscher ist natürlich auch mit im Spiel. Harald Fricke
Galliano spielt heute abend um 20 Uhr im Tempodrom
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