: Metakritik des Museums
Jetzt als Buch: »Periphere Museen« in Berlin ■ Von Brigitte Werneburg
So ist das: Heute muß ein Museum nach der abendlichen Schließung eher befürchten, ein Bild zuviel an seinen Wänden zu beherbergen, als eines zuwenig. Zuletzt passiert im Museum Ludwig in Köln. Nicht mit einem gefälschten Baselitz, sondern einem echten »Jedermann ein Künstler«. Kurz: Auf das Museum zielt die Begierde, nicht auf das Kunstwerk. Vielfach wird dieser Zustand »Postmoderne« genannt, und diesem Begriff zuzurechnende Künstler erfinden Ausstellungen für Hunde, mit Wurstbildern, die knapp über dem Boden hängen; wobei der Trick dieses selbstreflexiven Scherzes von Richard Hamilton und Dieter Roth natürlich der ist, daß er nur im Museum Sinn macht — und damit Einlaß in dasselbe garantiert.
Im Hundemuseum in Blankenburg in Ost-Berlin hätte kein Mensch diese Aktion verstanden. Womit wir endlich auch beim Thema wären. Wir wollen nämlich über ein Buch berichten, das über Museen berichtet, die noch das traditionelle Klau-Problem haben. Womit sofort deutlich ist, daß es über »periphere Museen« handelt, also solche, die ein wenig abseitig sind, vom Thema, den Objekten und dem Ort ihrer Ansiedlung her.
Zum Beispiel das Zuckermuseum. Ein Pfund Zucker mehr reinzutragen — wer käme schon auf die Idee? Leider kommen aber viele von den wenigen, die sich dorthin verirren, darauf, die Musikbox mit den Zucker-Songs zu rupfen. Jetzt wird sie mangels Masse — fast möchte ich sagen: Melasse — nicht mehr gezeigt. Und dem Autor Thomas Kapielski war es nicht möglich, seinen Radio-Essay über dieses Berliner Museum mit einem Musikstück zum Thema Zucker aus dieser Schatztruhe abzurunden.
Denn die in dem Merve-Band versammelten Texte waren ursprünglich für den Äther, genauer für DS-Kultur bestimmt. Was sich in der gedruckten Museums-Anthologie nur positiv bemerkbar macht. Die Schreibweisen von zwanzig verschiedenen AutorInnen haben die angenehme Direktheit von zwanzig verschiedenen Sprechweisen ziemlich unterschiedlicher Leute. Kunst- und LiteraturhistorikerInnen, SchauspielerInnen, PhilosophInnen, MusikerInnen und BildhauerInnen berichten fasziniert bis irritiert von ihren Rundgängen im Frisörmuseum, im Museum für bedingungslose Kapitulation, der Sammlung von Mißbildungen, dem Jagdschloß- und Waldmuseum und dem Gaslaternen-Freilicht-Museum — um nur einige dieser abenteuerlich anmutenden Sammlungen in Berlin zu nennen.
Die Entdeckungs- und nachfolgende Mitteilungslust mancher AutorInnen vermittelt den ebenso kuriosen wie tatsächlich alltags- aufklärenden Gestus dieser Einrichtungen notorischer Sammelwut und/oder solidem Geschichtsbewußtsein von unten so detailliert und plastisch, daß man meint, den Besuch mitvollzogen zu haben. Andere triezen einen eher mit ausgesuchten Einzelheiten, die die Neugier aufstacheln und zum Besuch zwingen wollen. Dazwischen liegt Aulikki Eromäki, die die Exponate des Wäschereimuseums Seibel im Köpenicker Kiez zu einer sehr lesenswerten »Kleinen Soziologie des Wäschewaschens« verführten. Durs Grünbein, der die »Gurltsche Mißbildungssammlung« besuchte, mußte eher grundsätzlich-historisch bleiben, schlicht in Ermangelung tierischer Monstren; denn die Sammlung der 1790 gegründeten Tierärztlichen Bildungsanstalt ist bis auf klägliche Reste im Zweiten Weltkrieg verbrannt.
Ganz anders als bei den »regulären« Museen fällt überhaupt auf, wie sehr der Krieg eine untergründige prägende und verbindende Gestalt all dieser Sammlungen ist. Im Hundemuseum findet sich der Musterungsbefehl für einen Teckel aus dem Jahr 1945. Es erübrigt sich, weiteres über dieses letzte Aufgebot zu sagen. Höchstens stellt sich die Frage, ob sich das Rote Kreuz auch für derlei Kombattanten zuständig fühlte. Hans Zischler besuchte das Museum dieser Institution, die durch den Krieg 1870/71 erstmals stark in ihrem Wachstum befördert wurde, wie es im Katalog heißt. Es gab dann, wie bekannt, noch mehrmals Gelegenheit zum kräftigen Wachstum. Der Rest der Geschichte läßt sich im »Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945« verfolgen, einer inzwischen ehemals sowjetischen Einrichtung, die Walter Seitter deshalb als Museum eines Museums beschreibt.
Der Alltag vergangener Dekaden wie die jüngste Geschichte schreiben hier in Berlin, etwa im Panoptikum, im Blinden-, Mauer-, Schul-, Sport- oder Wassersportmuseum, um noch weitere Ziele alternativer Museumserkundung zu nennen, ihre eigene metakritische Geschichte zum sogenannten Museumsgedanken. Es ist die Stärke der Unternehmung »Periphere Museen in Berlin«, daß sie diese Geschichte — als eine Geschichte von »Obsessionen, arm an Mitteln und reich an erzählenden, poetischen Dingen« — sozusagen ätherisiert, nicht ästhetisiert.
Michael Glasmeier (Hg.): »Periphere Museen in Berlin«. Merve Verlag 1992, 190 Seiten, 20 DM.
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