Überhaupt nicht komisch

■ „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“: Der Abschluß von Friedrich Christian Delius' „Staatsfeinde“-Trilogie

Manche Bücher haben das Pech, daß bei ihrem Entstehen die weitere gesellschaftliche Entwicklung noch nicht abzusehen ist. Als F.C. Delius „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“ schrieb, machte noch kein faschistoider Stammtischmob Jagd auf alles, was anders aussieht. Was hat aber die Geschichte der RAF mit dem neugesamtdeutschen Hang zum Pogrom zu tun? Alles und nichts.

Alles, wenn man berücksichtigt, daß viele der früheren RAF-Mitglieder aus dem antifaschistischen Spektrum Nachkriegswestdeutschlands kamen und die RAF, wenn auch auf anderem Hintergrund, immer eine Entwicklung der BRD zum rechtsautoritären Polizeistaat prophezeit hat. Nichts, wenn man den Zusammenbruch des Realsozialismus, die Vereinigung und die soziale Deklassierung ehemaliger Helden der Arbeit als völlig neuen geschichtlichen Zeitabschnitt betrachtet.

Eigentlich hat F.C. Delius nur aufgegriffen, was die Konfrontation der bewaffneten Avantgarde mit dem Rechtsstaat der expressdemokratisierten Väter hergab: groteske Verwerfungen, Überreaktion aus Prinzip und ideologische Verstiegenheit bis zum Wirklichkeitsverlust auf beiden Seiten. Gleichwohl, der westdeutsche Krieg der Söhne gegen die Väter kann kaum abgekoppelt von der gegenwärtigen Entwicklung betrachtet werden. Als vor über zwanzig Jahren die RAF mit der Frage antrat, ob die westdeutsche Gesellschaft mit den Mitteln des bewaffneten Kampfes zu beeinflussen und zu verändern sei, waren die meisten Kombattanten um die zwanzig Jahre alt. Diejenigen, die heute unter dem Applaus ihrer Eltern in den neuen Bundesländern mit Molotowcocktails Flüchtlingskinder verbrennen, sind oft jünger. Sie müssen im Gegensatz zu den RAFlern der ersten Generation den Eindruck haben, sich im Einklang mit der Stimmung unter den Erwachsenen Ost wie West zu befinden. Die Gegenwart ist grotesk, aber überhaupt nicht komisch.

Was F.C. Delius mit teils feingesponnenen assoziativen Gedankenbildern, teils federspitzen Analysen der Ex-BRD-Befindlichkeit entworfen hat, ist allemal lesenswert. Trotzdem steht zu vermuten, daß es einigen Lesern nicht gelingen wird, diese Form der Polemik anzunehmen. Die Gegenwart, die Gefahr eines gewaltigen wie gewalttätigen Rechtsrucks, degradiert zur Zeit manches aus der Vergangenheit zur Fußnote. So könnte „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“ das Pech haben, ein im Ansatz bemerkenswertes Buch zu sein, das zur Unzeit erscheint. Peter-Jürgen Boock

Friedrich Christian Delius: „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“. Roman. Rowohlt Verlag 1992, 363 Seiten, 39,80 DM.