: Eine Stadt versinkt im Stau
In Aschaffenburg, der Stadt mit dem höchsten Fahrzeugaufkommen, rächen sich jetzt früher begangene Bausünden — die Stadtplaner sind ratlos ■ Von Heide Platen
Aschaffenburg stinkt zum Himmel. In und um die Stadt, die König Ludwig I. einst das „bayerische Nizza“ nannte, brandet der Autoverkehr. Die Autobahn A3 streift Aschaffenburg; breite Einfallstraßen, darunter die Bundesstraßen 8 und 26, zerschneiden die Stadt. Im Talkessel sammeln sich die Autoabgase zu einem Gemisch mit dem Industriesmog, der von Mannheim und aus der südhessischen Industriesteppe herüberweht. Die Altstadt ist säuberlich in zwei Hälften zerlegt — eine der Planungssünden vergangener Jahrzehnte nach sozialdemokratischem Rezept: Straßenschluchten mit Immergrün an Beton.
Seit über 20 Jahren werkeln die Verkehrsplaner am Konzept einer Ringstraße. Satte Mehrheiten der Autolobby im Parlament verhinderten jedoch eine Verkehrsberuhigung. Jetzt ist das alte Konzept der Ringstraße rund um die enge Innenstadt neu aufgelegt. Baudezernent Martens legte ein ganzes Paket vor, in dem der Ausbau der Ringstraße, Park-and-Ride-Plätze vor den Stadttoren und Tempo-30- Zonen zusammengeschnürt sind.
Planungsamtsleiter Bernd Keßler breitet den Stadtplan aus und gesellt dem Ring die begonnenen Bau- und Planungssegmente, einen Bahntunnel und die verkehrsberuhigten Zonen zu. Ein Radwegeprogramm und ein kürzerer Zeittakt für die Busse kommen dazu. Besonders stolz ist er auf die neuen „Bus-Kaps“, die den Bus an der Haltestelle nicht in eine Bucht einfahren lassen, sondern im Gegenteil die Straße verengen und so den nachfolgenden Verkehr zum Halten zwingen. Er nennt das Konzept eine „optimierte Lösung“, die weniger Fläche verbrauche. Der „Ring“, so hofft Keßler, werde den Verkehr aus der Innenstadt heraushalten. Und doch schleicht sich in seine Stimme ab und zu Resignation ein. Die Busse auswärtiger Verkehrsbetriebe sind zu spärlich eingesetzt, um eine Anbindung der umliegenden Ortschaften sicherzustellen. Auch ein Verkehrsverbund ist noch nicht zustande gekommen; ein Umweltticket wollte sich die Stadt bisher nicht leisten. Fahrradwege sind nur für die Hauptstraßen und nicht „um jeden Preis“ vorgesehen. Wohin auch damit in Aschaffenburg, einer Siedlung in fränkischer Enge. Der Platz ist knapp.
Keßler weiß, daß sich jetzt die vergangenen Sünden rächen. Denn nichts geht mehr in Aschaffenburg. Die Stadt mit 65.000 Einwohnern hat das höchste Autoaufkommen pro Quadratmeter in der Republik, 250.000 Fahrzeugbewegungen am Tag, und liegt mit den Ozonwerten an der Spitze.
An den neuralgischen Punkten des Ringausbaus formiert sich der Widerstand. Immer mehr Bürger machen gegen die Ringstraße mit Bürgeranhörungen, Unterschriftenlisten und Fragebogenaktionen mobil. Sie wollen die Trasse weder im Stadtteil Damm, wo der Ring den Autoverkehr im Norden auf die A3 ausspucken soll, noch an den alten Ringstraßen im Osten. Dort dämmt jetzt noch ein Grüngürtel den Lärm und Gestank — ein beliebter Spazierweg und gleichzeitig Abschirmung für eine Schule. Daß hier 750 Bäume gefällt werden sollen, rechnete der Magistrat flugs auf die Zahl von 150 herunter. Er sprach kurzerhand allen Holzgewächsen unter 60 Zentimeter Stammdurchmesser den Status eines Baumes ab.
Währenddessen bröckelt seit einem Jahr die Mehrheit für den Ring im Stadtparlament. Das Planfeststellungsverfahren ist zwar beschlossen, aber die Gegenstimmen wachsen, und zwar parteiübergreifend, je nach Wahl- und Wohngebiet. Auf Bürgerversammlungen werden die Abgeordneten in die Pflicht genommen. Die SPD ist gespalten, die CSU verunsichert. Stadtrat Ekkehart Rotter (Grüne), verteidigt zuerst einmal seine Stadt — jedenfalls ein bißchen. Die Lage sei schwierig. Auch den Busspuren bringt er durchaus Wohlwollen entgegen. Nur, meint er, nützten die Eimer weißer Farbe, mit denen sie aufgemalt sind, gar nichts — die Busse steckten trotzdem ständig im Stau und würden wegen der Defizite ausgedünnt. Nach reiflicher Überlegung faßt er sein Gegenkonzept zusammen: „Einfach sperren!“ Neue, noch breitere Straßen könnten, sagt er mit Blick auf den Stadtplan, hier gar nichts mehr verbessern, sondern nur verschlechtern. Er verwies auf das Beispiel Würzburg, das zur Verdauung des einseitig hochgerechneten Verkehrsaufkommens im Jahr 2000 die halbe Innenstadt hätte abreißen müssen. Diese Stadt sei doch immerhin auch „von der jähen Einsicht gestreift worden, daß vielleicht gar niemand mehr in die Innenstadt fahren möchte, wenn sie nicht mehr da ist“. Hierin weiß er sich einig mit dem Einzelhandel, der auf eigene Faust mit einer Fahrschein-Rückerstattung für „Ein-, Um- und Aufsteigen“ wirbt.
Auch das „abgespeckte“ Ringstraßenkonzept sei, so Rotter, „Augenwischerei, eine Dummheit“, hole noch mehr Autos in die Stadt und verlängere die Dauerstaus. Dagegen setzt er den öffentlichen Nahverkehr, Radwege, Verkehrsberuhigung und Park-and- Ride. Dabei ist er, wie er betont, in manchen Punkten mit den städtischen Planern nicht ganz uneinig: „Das geht mit der CSU manchmal besser als mit der SPD.“ Auch das Parken, meint er, „muß teuer werden.“ Nicht ungern zitiert er den Vorgänger des derzeitigen Baudezernenten. Der hatte einmal sinniert, daß die vielen Autos in Aschaffenburg nur mit amerikanischen, mehrstöckigen Kreuzungen über der kleinen Stadt zu kanalisieren seien. Das Fremdenverkehrsamt löst das Problem auf seine, unzweifelhaft kostengünstige Weise: Es blendete die Autos auf den bunten Bildern im amtlichen Stadtführer weitgehend aus: Am Herstallturm verdecken Osterglocken den Blick auf die Realität vor der Bordsteinkante.
Von der Schizophrenie kontroverser Verkehrspolitik zeugt auch der Konflikt um eine Autobahnanbindung im Nordosten, vorbei am Klinikum und durch ein Naturschutzgebiet. Seinerzeit hatte die Opposition gegen den Krankenhaus-Standort argumentiert. Er sei verkehrsmäßig nicht gut genug erschlossen. Die Mehrheit hielt das Gegenteil für wahr. Jetzt soll die Straße her, denn die Klinik müsse unbedingt besser angebunden werden. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) erstand ein Sperrgrundstück.
Aschaffenburg ist bei Augenschein ein hartes Pflaster für FußgängerInnen. Der Bahnhofsvorplatz ist die erste lebensgefährliche Piste, die es zu überwinden gilt. Die Busse versperren den Passanten den Blick auf die Autos, die Überquerung der Straße ist ein halsbrecherisches Unterfangen. Um den Herstallturm brandet der Verkehr von der einen Seite um die Einkaufszone, unterhalb des Schlosses von der anderen Seite. Auch das Kopfsteinpflaster, auf dem die Einkaufsbummler zwischen Sandgasse und Roßmarkt flanieren, ist ein Jagdrevier. Und auf dem noch nicht fertiggestellten Schloßplatz täuscht das Pflaster eine Idylle vor — bis das nächste Auto einbiegt und eine für Ortsunkundige fast unsichtbare Fahrspur durchbraust. Vom Aussichtspunkt am Schloß aus, da wo die Busse parken, schweift der Blick nach unten über beide Ufer des Mains: ein großer Parkplatz auf dieser, ein noch größerer auf jener Seite. Liebliches Aschaffenburg.
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