: Asyldebatte ohne letzte Leidenschaft
Im SPD-Parteirat wurde für und wider eine Grundgesetzänderung gestritten und eine Kommission zur Vorbereitung des Sonderparteitags eingerichtet/ Engholm verneint Rechtsruck ■ Von Tissy Bruns
Bonn (taz) — Die Stimme von Hans-Jochen Vogel war durch die Wand zu hören, als der Parteiratsvorsitzende Harald Ringstorff der Presse die ersten Informationen über den Verlauf der Sitzung der Sitzung des SPD-Parteirats gab. Die Worte des Ex-Vorsitzenden waren nicht zu verstehen, der Ton aber war streng. Vogel hatte sich schon bei früheren Gelegenheiten als Gegner der von Engholm eingeleiteten Petersberger Wende der SPD zum Asylrecht zu erkennen gegeben.
Streit um das Petersberger Sofortprogramm also auch im Parteirat, allerdings nicht mit letzter Leidenschaft. Denn wegen des bevorstehenden Sonderparteitags am 16. und 17. November in Bonn wiegen dessen Entscheidungen nicht schwer. Damit dann „eine sachliche Diskussion möglich wird“, wurde folgerichtig eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Ihr gehören Befürworter einer Asylrechtsänderung wie Herbert Schnoor und Gerd Wartenberg als auch Kritiker der Petersberger Beschlüsse wie Detlev von Larcher, der neue Sprecher des Frankfurter Kreises, an. Wichtige Exponenten der Kontroverse wie Oskar Lafontaine und Fraktionschef Hans-Ulrich Klose fehlten. Auch der niedersächsische Ministerpräsident und Petersberg- Opponent Gerhard Schröder besuchte den Parteirat nur kurz.
Björn Engholm — er entschwand am Mittag aus Bonn — hat mit dem Ja des Parteivorstands zu den Petersberger Empfehlungen bereits eine wichtige Hürde genommen. Vor dem Parteirat führte er Klage über die innerparteiliche Diskussion: so schwere Angriffe hätte er in seiner über dreißigjährigen SPD-Mitgliedschaft noch nicht erlebt. Weder ein Rechtsruck noch die Große Koalition seien mit der Wende bei Asyl und UNO-Einsätzen beabsichtigt. Die Partei müsse aber bereit sein, „Grundsätze, die einmal richtig waren, weiterzuentwickeln“. Er verwies auf die Forderungen des Sofortprogramms zum Aufbau Ost. „Was wir da fordern, ist für viele Menschen ebenso wichtig wie die Asyl-Frage.“ Am Ende der strittigen Debatte dürfe die Minderheit nicht diskreditiert werden. Da, bei der Minderheit, sah sich Engholm bei der gestrigen Sitzung nicht, und auch beim Parteitag erwartet er das Ja der SPD zum Sofortprogramm, trotz der Nein-Tendenz in vielen Parteigliederungen. Jüngstes Beispiel dafür ist Bayern. Die SPD-Spitzenkandidatin Renate Schmidt hatte im Landesvorstand keine Mehrheit finden können. Harald Ringstorff, SPD-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, meinte, Engholms Rede hätte „viel Dampf aus der Debatte“ herausgenommen. In der „überwiegend sachlichen“ Sitzung sah er die Mehrheiten bei der Parteispitze. „Rational“ und „außergewöhnlich fair“ beurteilte auch Engholm kurz vor der Abreise die Diskussion. Die war allerdings zu diesem Zeitpunkt erst in Schwung gekommen. Erst nach einer ganzen Reihe von zustimmenden Rednern, darunter mehrere aus ostdeutschen Landesverbänden, kamen die Kritiker zu Wort.
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