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Vom Tacheles über Tallin nach Tokio

»Utopien leben«: Die Bundesvereinigung soziokultureller Zentren lädt nach Berlin zum interkulturellen Kongreß der Alternativzentren ein  ■ Von Ute Scheub

Berlin. Ganz Germanien ist von Zukunftsängsten besetzt, die Utopien sind abgeschafft. Ganz Germanien? Nein. Ein Hort der Unbeugsamen trotzt der Realpolitik und lädt zum Kongreß »Utopien leben« vom 8. bis 11. Oktober im Karlshorster »Come-In« ein. Veranstalter sind neben dem Ostberliner »Förderband e.V.« die »Bundesvereinigung soziokultureller Zentren«, die seit 1979 als bundesweite Interessenvertretung von mittlerweile fast 200 alternativen und selbstverwalteten Zentren vom Nürnberger »KOMM« bis zum Berliner »Tacheles« besteht. Man wolle einen »Kontrapunkt zum großen Jammern und zur Perspektivlosigkeit« setzen, verkündet selbstbewußt Andreas Bomheuer von der Essener Geschäftssteller der »Bundesvereinigung«.

Das Programm hört sich durchaus interessant an. Kleiner Auszug: Dr. Dr. Rolf Schwendter aus Kassel — unvergessen sein schallendes »Wir sind noch immer unbefriiiiedigt«, das er bei einem Kongreß Ende der 70er im Rhythmus der Stones auf einen Kochtopf hämmerte — wird seine Gedanken über »Utopieverlust« referieren. Vertreter aus Brüssel, Palermo, Tallin und Warschau diskutieren über die kulturellen Unterschiede in Europa. Der bulgarische Journalist Rossen Milev reflektiert darüber, ob der europäische Regionalismus, auf den sich auch die Alternativbewegung positiv bezieht, die neuen Nationalismen gestärkt hat. Kazuaki Tani aus Tokio, Oleg Tabakov aus Moskau und der Kameruner Benjamin Leunmi beschreiben ihre Wahrnehmung der europäischen Kultur.

Aber: Sind das etwa schon die »gelebten Utopien?« Ist das der Hort der Unbeugsamen? Wie freizügig die nunmehr 15 Jahre bestehende Alternativszene mit dem einst so verhaßten System herumschmust, zeigt schon der Kongreßbeginn mit zwei Geleitworten des Berliner Kultursenators (persönlich anwesend) und des Bundesinnenministers (leider verhindert).

Aber wir sind ja nicht so, denn wir wissen: Es geht um unser aller Arbeitsplätze. Schon 1986 arbeiteten bundesweit rund 6.000 Menschen in soziokulturellen Zentren, davon allerdings 65 Prozent ehrenamtlich und ganze 5,5 Prozent auf einer festen Stelle. Damals hatten sie pro Jahr sieben Millionen BesucherInnen zu betreuen, inzwischen, glaubt Regina Nickel als Vorständlerin der »Bundesvereinigung«, sind es 12 bis 15 Millionen.

Allein in Berlin, schätzt Matthias Büchner vom »Förderband«, säßen an die 6.000 Leute auf ABM-Stellen im Bereich Kultur-, Umwelt- und Sozialarbeit. Noch einmal so viele seien in diesem Umfeld ehrenamtlich tätig. Doch die Projekteszene, gerade im Osten für viele der einzige Hoffnungsschimmer über dem Meer der Arbeitslosigkeit, sei im nächsten Jahr durch die explodierenden Mietpreise und die Kürzung der Sachmittel des Programms »Aufschwung Ost« aufs existentiellste bedroht. Der von »Förderband« vor kurzem mitgegründete »Interessen Verband Kultur« verlangt deshalb in einem Brief an das Abgeordnetenhaus die »mittelfristige Absicherung« von wenigstens 1.500 dieser Stellen und die Schaffung eines »Fonds für Soziokultur«, in den 0,5 Prozent der Mittel aus allen Senatsverwaltungen einfließen sollen. Feste Arbeitsplätze — sind das die Utopien von heute?

»Utopien leben«, 8. bis 11.10. im »Come-In«, Rudower Chaussee 16-25, Adlershof. Programm erhältlich bei »Förderband«, Tel. 2818126.

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