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Anekdoten von Einzelkämpfern

■ László Krasznahorkais Alptraumroman „Melancholie des Widerstands“

Geistige Bewegung wird ihnen zur übermenschlichen Kraftanstrengung, Denkvorgänge provozieren eine Lähmung der Sinne, eine dumpfe Melancholie bestenfalls: Leblos wie ausgestopfte Vögel halten die Figuren in den Romanen und Erzählungen des Ungarn László Krasznahorkai still.

„Noch ein paar Tage, noch ein paar Jahre, und ich irre auch über den Tod hinweg. Wenn es wahr ist, daß sich Gott nur durch uns zu sich hinschleppen kann, soll er seinen Weg unangefochten über mich fortsetzen“, diagnostizierte einst in ähnlich bitterer Tonlage Krasznahorkais Landsmann und älterer Schriftstellerkollege György Konrád in seinem Roman „Der Komplize“ die ungarische Befindlichkeit Anfang der achtziger Jahre. Wie Konrád, Péter Nádas oder Péter Esterházy schreibt auch László Krasznahorkai seit einigen Jahren unbeirrt an seiner ganz persönlichen Apologie der Vergeblichkeit, einem Epitaph auf (s)ein totes Land, die in Regungslosigkeit erstarrte ungarische Gesellschaft.

1954, ein Jahr nach Stalins Tod in Gyula geboren, knüpft Krasznahorkai mit seinen Choreographien der Depression an eine Literatur an, in der die klassischen Helden ausgespielt und abgedankt haben. Das Klima, die Atmosphäre schwingt sich an ihrer Stelle zum Protagonisten auf; der einzelne erscheint nur mehr gelegentlich, im Seitenlicht des Marginalen. Es sind literarische Endspiele, die uns dieser ungarische Hieronymus Bosch Buch um Buch beschert. War es in seinem 1990 auf deutsch erschienenen Roman „Satanstango“ die „Vergeblichkeit des elenden Kampfes zwischen Regen, Erde und marodem menschlichem Wollen“, die zur Sprache gebracht wurde, so liest sich sein aktueller Roman „Melancholie des Widerstands“ nur mehr als Nekrolog auf den Menschen. Krasznahorkai bittet den Leser in ein kleinstädtisches Panoptikum, ein von vielen Spiegelungen gebrochenes Illusionstheater, in dem der Beteiligte unversehens zum Zuschauer wird. Es ist, als hätten Bergmann und Fellini ihre Käuze und Hazardeure, ihre Feuerschlucker und Seelenbeschwörer ins ferne Ungarn verpflanzt und dort zu einem finalen Abend der Gaukler versammelt: Ein kurioser Wanderzirkus präsentiert der Bürgerschar einen ausgestopften Walfisch; eine Reisende wird im Zugabteil unter gierigen Männerblicken zum Opfer ihres verrutschten Büstenhalters. Eine andere zelebriert ihre bescheidene, uniforme Wohnblockexistenz mit der Kälte und Fühllosigkeit der zur Normalität Verurteilten. Obendrein geht die Fama von einem ominösen, dreiäugigen Herzog, der gekommen ist, als letzter, ultimativer Richter des Menschen vor dessen Absprung ins Nichts.

So wie György Konráds fulminanter Roman „Der Komplize“ von seiner fiebrigen, kreisenden Erzählweise lebte, baut auch Krasznahorkais ausufernde, mitunter zerfasernde Satzfolgen, die kunstvoll alltägliche Idiotie simulieren. Alles geschieht gleichzeitig und ist trotz seiner vordergründigen Fülle weit vom „richtigen“ Leben entfernt. Was — für den Erzähler wie für den Helden — bleibt, sind geheimnisvoll versponnene Geschichten und Anekdoten von Einzelkämpfern, die scheitern oder in den Irrsinn fliehen. Noch scheint der Stalinismus nicht wirklich zu Ende: Einer irrationalen, übermächtigen und ungreifbaren Macht gegenübergestellt, bleibt Krasznahorkais Enttäuschten bloß die erdabgewandte Seite der Geschichte. Peter Henning

László Krasznahorkai: „Die Melancholie des Widerstands“. Roman. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Ammann-Verlag 1992, 456 Seiten, 48 DM.

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