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Unter die Haut gewachsen

Kein Aufatmen nach Ceausescu: Herta Müllers Roman „Der Fuchs war damals schon der Jäger“  ■ Von Peter Laudenbach

Am Anfang stehen einige idyllische Momentaufnahmen. Adina und Clare liegen auf dem Dach in der Sonne und dösen, Adina erinnert sich an Kindertage. Am Fluß stehen zwei Angler nebeneinander, im Café sitzt ein Ziguenerjunge. Friedliche Bilder, in die sanft und selbstverständlich der Schrecken eindringt. „Wo nichts mehr hinreicht, zerschneiden die Pappeln die heiße Luft. Die Pappeln sind grüne Messer. Wenn Adina die Pappeln zu lange ansieht, drehen sie die Messer von einer Seite zur anderen im Hals. Dann wird ihr Hals schwindlig.“

Das Umkippen des Idylls in die Bedrohung, das Aufladen selbst der Natur mit Schrecken zieht sich wie ein Muster durch den Roman: Bäume „würgen sich“, Dahlien „sehen in Kirchen und Zimmer, in Teller und Betten hinein“, der Schatten der Pappeln „frißt das Glück“. Der Strom von Schreckensbildern, der den erzählten Stoff überflutet, ist kein harmlos poetischer Schmuck, sondern der Versuch, das „dunkle Gedärm unter der Oberfläche“ festzuhalten: Die Metapher ist der Ernstfall, die Wahrheit hinter den harmlosen Fassaden.

In ihrer Poetikvorlesung („Der Teufel im Spiegel“, 1991) hat Herta Müller beschrieben, wodurch solche unwillkürliche Verzerrung, Verschiebung der Wahrnehmung, ein Aufbrechen der Wirklichkeit „ins Unvorhersehbare“ ausgelöst wird. Es ist „das Selbstverständliche, das uns immer begleitet — Angst, deren Gründe sich nicht einschränken, nicht genau benennen lassen.“ Diese existenzielle Angst durchdringt jedes Moment des Romans.

Mit „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ ist Herta Müller nach Rumänien zurückgekehrt. Nach ihrer Emigration in die Bundesrepublik vor fünf Jahren hatte sie versucht, literarisch auf ihre neue Lage zu reagieren und mit der Erzählung „Reise auf einem Bein“ (1989) die Heimatlosigkeit einer zwischen der Erinnerung an Rumänien und der Gegenwart des fremden Landes lebenden Immigrantin beschrieben. Nach dem Sturz Ceausescus und den katastrophal scheiternden Versuchen, das verwüstete Land demokratisch zu entwickeln, macht sie Rumänien noch einmal zu ihrem Thema. Der Roman erzählt nicht, wie die ersten drei Prosabände Herta Müllers, vom Leben der deutschen Minderheiten in den Dörfern, sondern vom Klima der Angst und der Lähmung in den Städten kurz vor dem Sturz des Diktators.

Gerade weil Müller in der ersten Hälfte des Buches die politischen Verhältnisse nur streift, gelingt es ihr, die mentalen Verwüstungen der Diktatur sichtbar zu machen. Sie spürt ihnen noch in den feinsten Verästelungen des Privaten nach. Im Traum eines Kindes formuliert die Erzählerin eine gespenstische Allegorie auf die Verhärtungen, das Abgestumpftsein der sich selbst fremd gewordenen Menschen: „Ich hatte geträumt, ich liege in der Sonne am Wasser und habe eine Blase auf dem Bauch. Ich zog die Haut von der Blase, und es tat nicht weh. Denn unter der Haut war Stein. Der Wind blies und hob das Wasser in die Luft, es war nur ein Tuch mit Falten, kein Wasser. Darunter lagen keine Steine, unter dem Tuch lag Fleisch.“

Die Sprachlosigkeit, die Schläge, die mißtrauischen und mißmutigen Blicke zeigen nicht weniger von Ceausescus Diktatur als Fotos der von der Securitate Ermordeten. In den Warzen der Schulkinder sieht Adina „die Verschlagenheit der Mütter und Väter, der Verwandten und Nachbarn und Fremden. Wenn das Auge quillt, wenn ein Zahn bricht, wenn im Ohr Blut steht, kommt ein Achselzucken.“

Die griffigen Formeln, mit denen man einige Handlanger der Macht für die stalinistischen Verbrechen und die Misere des Landes verantwortlich machen will, zerbrechen schnell am illusionslos genauen Blick der Erzählerin: Täter und Opfer sind längst untrennbar miteinander verwachsen. Der Pförtner der Fabrik, der die Arbeiter durchsucht, der Lagerverwalter, mit dem die Arbeiterinnen schlafen müssen, bevor sie neue Arbeitskleidung bekommen, der Securitate-Agent, der seine Geliebte damit tröstet, daß der Diktator Krebs habe und bald sterben werde: so brutale wie gehetzte, zerbrochene Gestalten. Opfer sind sie alle, unschuldig ist keiner von ihnen. Die elenden Verhältnisse sind den Menschen unter die Haut gewachsen. Eine grausame Geschichte, die der Arzt Paul erzählt, bringt die Symbiose mit dem Grauen auf den Punkt, es ist eine Schlüsselstelle des Buches: „Heute nacht sind eine Frau und ein Mann ins Krankenhaus gekommen. Der Mann hatte eine kleine Holzhacke im Kopf wie ins Haar gewachsen. Es war kein Tropfen Blut auf seinem Kopf zu sehen. Die Ärzte versammelten sich um den Mann. Die Frau sagte, das sei vor einer Woche passiert. Der Mann lachte und sagte, er fühle sich gut. Eine Ärztin sagte, man darf nur den Stiel abschneiden, die Hacke darf man nicht ganz entfernen, weil das Gehirn und der Kopf sich daran gewöhnt haben. Dann haben die Ärzte die Hacke entfernt. Der Mann ist daran gestorben.“ Pessimistischer könnte keine Diagnose der rumänischen Zustände nach dem Ende der Diktatur sein: Die mit ihrer Unterdrückung Verwachsenen ertragen die plötzliche Freiheit nicht.

Nur langsam entwickelt sich aus den Einzelbildern des Romans eine Handlung, immer wieder wird der Erzählfluß von monströs vergrößerten Details eingefrorenen Augenblicke verzögert und gebrochen. Die Wahrnehmung ist fragmentiert und zerfällt in überscharfe Momentaufnahmen. Selbst die häufig in Parataxen zersplitterte Syntax vollzieht diese Bewegung der Fragmentierung nach. Dem Leser wird weniger eine Geschichte erzählt, als daß er in eine hermetisch geschlossene Welt hineingezogen wird, die jederzeit droht, über ihren Einwohnern zusammenzuschlagen.

Die aus Fragmenten montierte Handlung variiert, was die Einzelbilder mikroskopisch — in der Wahrnehmung eines winzigen Details, eines abgewendeten Blicks oder einer hastigen Geste — aufgespürt haben: das Ineinander von Unterdrückung und Korruption, Angst, Selbstbetrug und hilflosem privaten Glücksverlangen. Zwischen den Alltagsszenen begegnet der Leser einigen Intellektuellen, die versuchen, nicht restlos im Dreck des Landes zu versinken. Keine Helden des Widerstandes (schließlich gab es in Rumänien, anders als in der CSSR oder in Polen, keine relevante Oppositionsbewegung), sondern verzweifelte Einzelne, die versuchen, nicht mit dem System zu kollaborieren. Ihr ohnmächtiger Widerstand richtet sich so gut wie nicht nach außen, er ist kaum mehr als der Versuch, wenigstens das eigene Denken dem allgegenwärtigen Druck zu entziehen. Ohne selbstgefällige Posen der Anklage ist in das Geschehen die kleine Geschichte eines Verrats gewoben: eine Liebe in den Zeiten der Diktatur — nicht mehr als ein Echo all der kleinen Gesten der fast unsichtbaren täglichen Zusammenarbeit mit der Macht, der sich kaum eine Figur des Romans entziehen kann.

Dem Klima der Lähmung und Resignation entsprechend kommt der Sturz Ceausescus für die Protagonisten so überraschend wie für den Leser, ein seltsam unwirkliches Ereignis. Mit der Erschießung des Diktators und seiner Frau im Fernsehen verschwindet die ins Fleisch gewachsene Angst nicht wie ein böser Spuk. Die Biographien bleiben zerstört, nach einem kurzen Aufatmen besetzt der Schrecken erneut das Territorium: „Denn die Panzer stehen noch immer überall in der Stadt, und die Brotschlange vor dem Laden ist lang.“ Herta Müller hat keine wohlfeilen Hoffnungen zu bieten.

Herta Müller: „Der Fuchs war damals schon der Jäger“. Roman. Rowohlt Verlag 1992, 286 Seiten, 36 DM.

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