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IM Sekretärs Berichte

Unterlagen belegen die Spitzeldienste von IM Sekretär alias Manfred Stolpe in der bundesdeutschen Politik  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Der Informant hatte Weltniveau: Oberkonsistorialrat Manfred Stolpe, alias IM Sekretär, hatte über seine Kirchenkontakte beste Verbindungen zur westdeutschen Regierung in Bonn. Was der IM Sekretär bei Gesprächen über Bonner Regierungsvertreter erfuhr, landete prompt auf dem Tisch seines Führungsoffiziers, Stasi-Oberstleutnant Joachim Wiegand. Von dort landeten Stolpes Berichte auf dem Tisch von Stasi-Chef Mielke.

Beispielsweise am 1. Dezember 1979: Da hielt Wiegand unter der Überschrift „Über Gespräche des Vorsitzenden des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR, Bischof D. Schönherr, mit leitenden Bischöfen der BRD und dem SPD-Vorsitzenden W. Brandt“ in einem schriftlichen Vermerk Brisantes fest. IM Sekretär teilte mit, daß Bischof Schönherr am 26.11. in Bonn zusammen mit Bischof Binder und dem Beauftragten des SPD-Parteivorstandes für Kirchenfragen, Reitz, ein Gespräch mit Willy Brandt geführt hatte. Der SPD-Vorsitzende und Altkanzler, notierte Oberstleutnant Wiegand, „brachte seine Besorgnis zur gegenwärtigen politischen Entwicklung zum Ausdruck. Er würde im Zusammenhang mit den Abrüstungsvorschlägen und notwendigen Maßnahmen der Nato in direktem Kontakt mit Breshnew stehen und sich ständig mit ihm austauschen.“ Quelle: IM Sekretär und, wie Wiegand abschließend festhielt: „Der IM ist überprüft und zuverlässig.“

Über den Umweg „Sekretär“ erfuhr die Stasi aber nicht nur davon, daß der Architekt der sozialdemokratischen Ost-Politik in „direktem Kontakt“ zum Generalsekretär der KPDSU stand. Den Informationen „Sekretärs“ zufolge hoffte der SPD-Politiker, seinen Standpunkt in Sachen Nachrüstung auch beim nächsten SPD- Parteitag durchsetzen zu können. „Brandt vertrat den Standpunkt, eine mittlere Lösung zu finden. Darunter versteht er, eine Nato- Beschlußfassung zu den Vorschlägen von Breshnew anzustreben und die Nachrüstung auf Null zu drehen, wenn Verhandlungen der Nato mit den Warschauer Vertragsstaaten in einem bestimmten Zeitraum zum Ergebnis führen würden.“ IM Sekretär berichtete von parteiinternen Machtverhält

nissen der damaligen Regierungspartei SPD ebenso wie von der Bonner Einschätzung des Verhältnisses der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten. „Brandt sei mit dem Bundeskanzler Schmidt zusammengewesen und habe ihn mühsam für seine Linie gewinnen können. Schmidt sei der Auffassung, das sei das Äußerste an Vertretbarem, was man tun könne, um nicht die Chancen zu verspielen, die Wahlen zu gewinnen und die USA zu verärgern“.

Oberstleutnant Wiegand brachte die Information umgehend auf den Weg nach oben — „dem Genossen Generalleutnant Mittag, mit der „Bitte um Kenntnisnahme“. Der wiederum leitete die Botschaft mit der Kennziffer „955 79“ an die Partei- und Staatsführung, den „Genossen Minister“, also dem Stasi-Chef Erich Mielke zur Vorlage.

Nicht nur dieser Vermerk des Stasi-Offiziers Wiegand, der in jüngst übergebenen Unterlagen an den Potsdamer Untersuchungsausschuß auftaucht, belastet den Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe erneut schwer. Ausweislich eines anderen Dokumentes nutze Stolpe seine Kirchenfunktion, um „Meinungen staatlicher und kirchlicher Persönlichkeiten der BRD zu den Nato- Beschlüssen und zum Besuch von Bundeskanzler Schmidt in der DDR“ zu sammeln. Am 27.Dezember 1979 hielt Wiegand wiederum unter der Quellenangabe „Sekretär“ fest: Der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Dr. Schüler, vertrete die Auffassung, „daß die Nato-Beschlüsse zur Nachrüstung unausweichlich“ gewesen seien. Schüler habe dies in „internen und individuellen Gesprächen“ erklärt, die der Bischof Binder als Bevollmächtigter des Rates der evangelischen Kirchen Deutschlands mit verschiedenen Spitzenpolitikern am 13.12. in Bonn geführt habe. Über Richard von Weizsäcker, damaliger Vizepräsident des Bundestags und Mitglied des Rates der Evangelischen Kirchen, berichtete „Sekretär“, „Weizsäcker drückte seine großen

Sorgen um eine künftiges gutes Verhältnis zu den USA aus... Durch die Nato-Beschlüsse sei der Einfluß der BRD auf die USA jetzt stärker geworden.“

Auch Egon Bahr, früherer Bundesgeschäftsführer der SPD, machte sich den Angaben „Sekretärs“ zufolge große Sorgen um die weitere Entwicklung in Europa. Wörtlich hätte Bahr gesagt: „Wir haben die Freunde in Moskau objektiv in eine komplizierte Lage bringen müssen und werden in den nächsten Jahren viel zu tun haben, um Schlimmeres zu verhindern.“ Bahr sei stolz darauf, „daß im Nato-Kommunique Breshnew erwähnt worden sei“. Sollte die Staats- und Parteiführunhg der DDR zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die weitere Strategie der SPD-Ost-Experten unterrichtet gewesen sein — IM Sekretär konnte die Absichten des SPD- Ost-Experten berichten: „Bahr sehe die Hauptaufgabe gegenwärtig darin, die Einführung der neuen Waffen zu verzögern bzw. zu verhindern. Nicht der Beschluß der Nato sei das Schlimmste, sondern seine Realisierung.“

Ein Jahr später — der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan hatte zum Boykott der Olympischen Spiele in Moskau geführt — berichtete IM Sekretär (dieses Mal an Stasi-Major Roßberg): „Streng vertraulich wurde aus kirchenleitenden Kreisen der evangelischen Kirchen der BRD bekannt, daß Bundeskanzler Schmidt, die Staatssekretäre Hounker und Egon Bahr die Entscheidung in der Olympia-Boykott-Frage nüchtern als das ,kleinere Übel‘ kalkuliert hätten.“ In den USA sei es „zu einer gesteigerten Hysterie gekommen, die zu noch schlimmeren Torheiten führen könnte. In dieser Situation fühle sich Bonn zu einer Art Nibelungentreue verpflichtet.“ Die Bonner Regierung habe sich auf dieser Grundlage ihre „volle Handlungsfreiheit bewahrt und sei in der Lage, den USA auch kritische Hinweise zu geben“. Der sowjetischen Regierung, wußte Kirchenmann Stolpe nach dem Vermerk vom 5. Juni zu berichten, „solle hierzu noch vor der Schmidt-Reise nach Moskau über verschieden Kanäle reiner Wein eingeschenkt werden“.

Der Kirchenmann und jetzige Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe, der seit Bekanntwerden seiner vielfältigen Kontakte zur Stasi im vergangenen Januar stets beteuert hat, nur im humanitären Auftrag mit den Staatsorganen der DDR verhandelt zu haben, wird mit seiner bisherigen Verteidigungsstrategie diese Berichte nur schwerlich erklären können.

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