■ Ärzte fordern Psychedelika als Heilmittel
: Das Ende des Horrortrips

Göttingen (taz) — Drei Tage lang diente am vergangenen Wochenende das zentrale Hörsaalgebäude der Universität Göttingen als eine Art akademisches Cape Canaveral für den inneren Weltraum: Auf der Konferenz „Welten des Bewußtseins“ referierten 72 Wissenschaftler aus 17 Ländern über außergewöhnliche Bewußtseinszustände und die Möglichkeiten, sie zu erkunden und zu nutzen. Im Mittelpunkt stand dabei vor allem die Frage, inwieweit psychedelische Drogen wie LSD und Psilocybin als Startrampe für Expeditionen in die Tiefen der menschlichen Psyche dienen und therapeutisch angewendet werden können. Das Plädoyer der auf Einladung des „Europäischen Collegiums für Bewußtseinsstudien (ECBS)“ versammelten Neurophysiologen, Psychiater, Pharmazeuten und interdisziplinären Bewußtseinsforscher war am Ende eindeutig: Das Potential dieser geistbewegenden Pflanzenwirkstoffe ist zu groß, als daß ihre Erforschung im Zuge des allgemeinen Drogenkriegs weiter blockiert werden dürfte. Die Chancen, daß die Wissenschaftler damit auf Gehör stoßen, stehen nicht schlecht, denn eines der Haupthindernisse bei der therapeutischen Nutzung von Psychedelika, der berüchtigte Horrortrip, hat seinen Schrecken verloren: Er ist vorhersagbar geworden. Adolf Dittrich, Psychologie-Professor aus Zürich, stellte die Ergebnisse eines Experiments vor, das seine vorausgegangene internationale Studie mit über 1.000 LSD-Probanden bestätigte: Wie eine Person auf veränderte Bewußtseinszustände reagiert, hat nichts mit dem Auslöser dieses Zustands, sondern mit dem psychischen Profil der Person zu tun. Mit drei verschiedenen Methoden — totaler Reizentzug im Isolationstank, Lachgas und dem starken Psychedelikum DMT — hatten Dittrich und seine Mitarbeiter 135 freiwillige Versuchspersonen, nach Erstellung eines Persönlichkeitsprofils per Fragebogen, auf eine Bewußtseinsreise geschickt. Ob diese in einer „ozeanischen Selbstentgrenzung“ oder als „angstvolle Ich- Auflösung“ endet, läßt sich, so Dittrich, künftig prognostizieren: Wer beim akustischen und visuellen Reizentzug im Samadhi-Tank „auf den Horror kommt“, wird diesen auch mit einem Psychedelikum erleben, wem aber schon die kleine Lachgasdosis beim Zahnarzt imaginative Bilder aufsteigen läßt, hat auf einem LSD-Trip gute Chancen für eine kosmisch-visionäre Spitzenerfahrung. Daß es sich bei der therapeutischen Nutzung psychoaktiver Substanzen nicht um eine Marotte der Moderne, sondern um die vielleicht älteste ganzheitliche Heilmethode der Menschheit handelt, machten die kulturanthropologischen und ethnobotanischen Beiträge der Konferenz deutlich: 90 Prozent aller sogenannten „Naturvölker“, so der Ethnologe Christian Rätsch, kennen veränderte Bewußtseinszustände, und überall galten die dazu verwendeten Techniken und Pflanzen als heilig. Nicht nur in exotischen, sondern auch in heimischen Kulturen — hinter dem „Pilsener“ unserer heutigen Biertische steckt „Bilsener“, das visionäre Getränk der Germanen, welches seinen Namen und seine Kraft dem Bilsenkraut verdankte. Auch die heiligen Pilze der Indianer sind auf deutschem Boden keineswegs kulturfremd. Jochen Gartz, Mykologe an der Uni Leipzig, verwies auf einen neuerdings unter anderem in der Mark Brandenburg charakteristischen „Inocybe aeruginascens“, der „Grünlichverfärbende Rißpilz“, zeichnet sich durch hohen Psilocybin-Gehalt aus. Dem Halluzinogen-Tourismus auf Castanedas Spuren, den die Anthropologin Marlene Dobkin de Rios als größte Gefahr für die letzten noch intakten schamanistischen Kulturen herausstellte, kann künftig auf ökologische Art also auch beim Waldspaziergang gefrönt werden.

„Der Mensch hat 20 Milliarden Gehirnzellen, und was macht er damit? — Er guckt ins Fernsehen!“ Wer mit Albert Hofmann über sein Sorgenkind LSD und die Notwendigkeit spricht, dessen Wunderkindqualitäten allgemein zu entfalten, kann ins Schwärmen geraten. Wäre das mächtige Werkzeug der Bewußtseinsveränderung, das Hofmann 1943 bei pharmazeutischen Experimenten mit dem Mutterkorn zufällig entdeckte, nicht schon einmal durch zu euphorische Reklame in die Illegalität getrieben worden, die Parole könnte heute nur lauten: Die strahlende Frische dieses 86jährigen Greises ist die beste Werbung für sein Produkt. Einer Droge, die das Gegenteil von einem Suchtmittel ist, weil sie bei wiederholter Einnahme nicht mehr wirkt, und deren bewußtseinserweiternde Potenz sich schon an den Wurzeln der abendländischen Kultur entfaltete — der heilige Trank von Eleusis, der über 2.000 Jahre existierenden zentralen Kultstätte Griechenlands, enthielt, wie Hofmann und Kollegen in den 70er Jahren entdeckten, die Wirkstoffe des Mutterkorns. Sämtliche großen Geister der klassischen Antike nahmen, wie alle Menschen ihrer Zeit, einmal im Leben am Mysterium von Eleusis teil. Da sie über das Erlebte schweigen mußten, ist in der Literatur nur ein tief bewegtes Raunen überliefert — von der Überwindung des Todes, der wahren Entdeckung des Lebens, der „Vereinigung von Mensch und Natur“. Eleusis, so Albert Hofmann in seinem Vortrag, „war keine Religion, sondern eine Offenbarung über den Sinn der menschlichen Existenz, es verursachte einen Wandel in der Seele des Initianten“. Bis zur Zerstörung des Eleusis-Tempels durch christliche Barbaren im 4. Jahrhundert nahmen Angehörige aller Religionen daran teil. Hier wieder anzuknüpfen und in modernen eleusinischen Heilstätten die Bewußtseine für die Einheit von Mensch und Natur zu öffnen — dies ist der Traum des Albert Hofmann. Und sein Heimatland, die Schweiz, ist auch dasjenige, das zumindest der wissenschaftlichen Erforschung keine Hindernisse mehr in den Weg legt. Mediziner und Therapeuten aus den USA hingegen sprachen von großen Schwierigkeiten, die in den 60er Jahren mit vielversprechenden Ergebnissen begonnene Arbeit vor allem bei therapieresistenten „hoffnungslosen Fällen“ — Alkoholikern und Heroinsüchtigen, aber auch Strafgefangenen und Psychiatrie-Insassen — wieder aufzunehmen. Wegen plötzlicher Krankheit leider ausfallen mußte der Beitrag von Professor Bastiaans aus den Niederlanden, der über die LSD-unterstützte Therapie von KZ-Überlebenden berichten wollte — ein Erfahrungsbericht darüber ist im Kunstmann- Verlag erschienen (Ka-Zetnik 13563: „Shivitti“).

„Alles, was mit Chemie erreicht werden kann, kann auch ohne Chemie erreicht werden“ — dieser Maxime des Drogen- und Bewußtseinsforschers William S. Burroughs wurden die Referate und Berichte über Bewußtseinsveränderungen mit Hilfe von Musik, Tanz, Atem und Meditation gerecht. Der Psychologe Ralph Metzner, einst mit den damaligen Harvard-Professoren Tim Leary und Richard Alpert Autor des ersten LSD-Handbuchs („The Psychedelic Experience“, 1962), machte deutlich, daß es nicht um veränderte Bewußtseinszustände, sondern um daraus erwachsende veränderte Bewußtseinseigenschaften geht. „Ich interessiere mich nicht für visionäre Zustände, das ist wie ein Wechsel des TV- Programms, sondern dafür, wie sich unser Weltbild durch diese Zustände ändert.“ Der Mystiker Meister Eckart hatte es einst so ausgedrückt: „Was der Mensch in der Kontemplation empfängt, muß er durch Liebe wieder abstrahlen.“

Ein Vierteljahrhundert nach dem „Summer of Love“ erlebt die Psychedelik in Kunst, Musik und Jugendkultur ein unübersehbares Comeback — in den Teccno-Discos geht es nicht um Musik, sondern um veränderte Bewußtseinszustände, es handelt sich nicht um einen modernistischen Wahn, sondern letztlich um die Anknüpfung an uralte Techniken der Trance, des Rauschs und der Ekstase. Schon immer wurden diese Techniken auch als hedonistischer Party-Spaß genutzt (und von puritanischen Fundamentalisten bekämpft), ihre eigentliche Bedeutung aber haben sie als Weg der Erkenntnisvermittlung. Das wiedererwachte wissenschaftliche Interesse an diesem alten Wissen kommt vielleicht gerade zur rechten Zeit: Ohne einen erfolgreichen Pflichtkurs in Psychonautik werden die schwindelerregenden Probleme der Menschheit nicht zu lösen sein. Mathias Bröckers

Die Referate der Konferenz sollen 1993 in Buchform herauskommen. Beiträge zahlreicher Referenten finden sich in der Festschrift für Albert Hofmann: Christian Rätsch (Hrsg.) „Das Tor zu inneren Räumen“, Verlag Bruno Martin, 298 S., 38 DM.