: Der ganz alltägliche Rassismus
Leben in Deutschland als Berufs-Inder beziehungsweise Berufs-Drittweltler und die kritischen Diskussionen über indische Kühe ■ Von Aswin Raman
Ein Dritte-Welt-Tag in der Gemeinde X. Der Pfarrer spricht das Grußwort und äußert Solidarität mit den Asylbewerbern. Er verurteilt Rostock. Da die Gemeinde ein Projekt in Indien hat, ist ein Informationsabend zum Land angesagt.
„Wie können die Inder bloß so dumm sein, daß sie ihre Kühe frei herumlaufen lassen und selbst verhungern?“ Eine gewichtige Frage steht im Raum. Die Antwort hat man schnell parat: Die Religion der Inder sei daran schuld, daß eben diese Kühe herumlaufen dürften. Diese Religion habe aber auch gute Aspekte, wird zugleich gerechtigkeitshalber betont, zum Beispiel Yoga-Übungen.
Der „kritisch denkende Linke“, welcher gerade seine Diplomarbeit über die „psychosozialen Auswirkungen der Biogasanlage in Indien“ geschrieben hat, steht nun auf und stellt fest, daß das mit den Kühen gar nicht so schlimm sei. Die seien nämlich viel zu mager, als daß sich Menschen daran satt essen könnten.
Nun hat der Missionar mit einem Aufenthalt von drei bis zehn Jahren in Indien das Wort. Er erzählt, was er im Dschungel doch alles versucht habe, um die Inder eines besseren zu belehren. Aber deren Mentalität... „Ja, die Inder haben eine Mentalität, die eine Ursache für ihre Armut und Unterentwicklung ist.“ Man spricht nicht von Rassen, zumindest nicht in diesen Kreisen.
Von den Kühen springt die Diskussion zu den sozialen Mißständen, dem Phänomen der Superreichen über. Der Indologe steht auf, und unterstützt vom Missionar und dem engagierten Studenten, stellt er fest: Das Kastensystem der Inder schafft Superreiche. Kann man das Kastensystem der Inder denn nicht beseitigen? Geht nicht, denn die Religion und Mentalität der Inder...
Die Diskussion wird nun wissenschaftlich, denn es folgen die Zahlen über Wachstum, untermauert mit Fremdwörtern. Die armen und verelendeten Inder, die sich wie die Kaninchen vermehren, können von Liebe und Sex offensichtlich nicht lassen. Dieser Baby- Boom muß aber irgendwie gestoppt werden. Der Pfarrer fragt den Indienspezialisten, ob es nicht möglich sei, daß wir unter das Brot für die Welt etwas Anti-Baby-Pulver mischen? Der entwicklungspolitische Spezialist antwortet, daß eine derartige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes nicht erwünscht sei, gibt aber zu, daß zu viele Babys auf die Welt kämen. Was tun? Ja, es ist schwierig und komplex, denn die indische Mentalität und Religion... Die engagierte Diskussion geht weiter. Am Ende sind Missionar und Indologe zufrieden; Diskussionsbeteiligung und Kollekte waren gut.
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