piwik no script img

USA sperren Geldhahn zu — Krise in Nicaragua

■ 100 Millionen Dollar versprochene Wirtschaftshilfe nicht ausgezahlt/ US-Republikaner und Rechte in Nicaraguas Parlament wollen Chamorro stürzen

Managua (taz) — Mit einer Serie von Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen hat Nicaraguas Präsidentin Violeta Chamorro am Mittwoch abend auf die Nachricht reagiert, daß ein seit Mai eingefrorenes Paket von über 100 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe vor den Wahlen in den USA nicht freigegeben wird. Präsident Bush hatte der Staatschefin mehrmals telefonisch versichert, er würde für die baldige Auszahlung der verbindlich zugesagten Hilfe sorgen. Offensichtlich will er es sich jedoch in der letzten Phase des Wahlkampfes nicht mit dem rechten Flügel der Republikanischen Partei verscherzen, der die Suspendierung der Gelder betreibt.

Die Umsatzsteuer sowie die Steuer auf Telefon- und Stromrechnungen wird ab sofort von 10 auf 15 Prozent erhöht, und die Budgets der staatlichen Serviceunternehmen, vom Energieinstitut bis zur Sozialversicherung, werden beschnitten. Gleichzeitig müssen die Produzenten Verkürzungen der ohnedies schon knappen Kreditmittel hinnehmen. Mit dem Weltwährungsfonds, dem Nicaragua rund 50 Millionen Dollar an fälligen Zinsen zahlen sollte, hofft Violeta Chamorro zu einer Kulanzlösung zu kommen. Auf keinen Fall soll die Notenpresse angeworfen werden, um die akute Liquiditätskrise zu bewältigen. Zentralbankpräsident Silvio de Franco seinerseits versicherte unmittelbar vor seinem plötzlichen Rücktritt, daß auch die Abwertung des Cordoba nicht in Frage komme.

Den Präsidenten der Nationalversammlung, Alfredo Cesar, der seit Monaten den Konflikt zwischen Washington und Managua schürt, bestrafte die Präsidentin mit dem Einfrieren des Budgets für die Legislative. Im Parlament tobt ein Machtkampf zwischen dem von Cesar kontrollierten rechten Flügel der Regierungsallianz und einer mit der sandinistischen Opposition verbündeten Zentrumsgruppe. Diese boykottieren seit Anfang September die Sitzungen. Cesar hatte damals die Krise nach einem verheerenden Seebeben ausgenützt, um in einem juristisch zweifelhaften Manöver seine Leute in die Schlüsselposten des Parlamentspräsidiums zu hieven. Die vom Obersten Gerichtshof verfügte Annullierung der strittigen Sitzung will er nicht anerkennen. Chamorro ihrerseits versicherte in einer Botschaft an die Nation, daß sie kein Gesetz, das von diesem Rumpfparlament beschlossen wird, ratifizieren werde.

Die Auszahlung der für das Gelingen des wirtschaftlichen Stabilisierungsplans unentbehrlichen US-Gelder ist an eine Serie von Bedingungen geknüpft, die die nicaraguanische Regierung nach Meinung der rechten Republikaner nicht ausreichend erfüllt hat. Es geht vor allem um die Rückgabe der während der revolutionären Epoche konfiszierten Güter an echte und später eingebürgerte US-Amerikaner, eine Polizeireform, die die Repression von Streik- und Protestbewegungen garantiert, und das Kaltstellen sandinistischer Offiziere in der Armee. Die Pensionierung von Polizeichef Rene Vivas und zehn weiteren hohen Offizieren im Vormonat sowie die versprochene Rückgabe oder Entschädigung zu Unrecht Enteigneter bei gleichzeitigen Garantien für Bauern und Genossenschaften, die durch die Agrarreform zu einem Stück Land kamen, wird offenbar in den USA als unzureichend betrachtet.

Daß sich die Präsidentin nicht bedingungslos dem Diktat Washingtons unterwirft, schreiben ihre Gegner den sandinistischen Pressionen zu. Alfredo Cesar, Vizepräsident Virgilio Godoy und Managuas Bürgermeister Arnoldo Aleman verlangen ein Ende der „Ko-Regierung“ der Sandinisten oder den Rücktritt der Präsidentin. Sie befürworten eine jüngst vom U.S. State Department vorgeschlagene Quasi-Entmündigung der Staatschefin durch eine „Junta von Ehrenmännern“. Der erzkonservative Kardinal Obando y Bravo hat sich bereits angeboten, eine derartige Überwachungskommission anzuführen. Ralf Leonhard

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen