Sanssouci: Nachschlag
■ Theaterstandort Berlin / Eine Podiumsdiskussion in der "Möwe"
Der berühmte Künstlerclub ist nun ein eingetragener Verein mit angeschlossener Gastronomie, aber er heißt noch immer wie das Stück von Ibsen: »Die Möwe«. Dorthin lud am vergangenen Donnerstag die »Deutsche Gesellschaft« — auch diese eigentlich ein Verein, dem Wolfgang Thierse vorsitzt und der sich u.a. um die Förderung der kulturellen Beziehungen in Europa verdient machen will. Vorerst beschränkte man sich aber und lud zum Gespräch im Club über den »Theaterstandort Berlin«.
Der ausersehene Klubraum platzte aus allen Nähten, so viele Neugierige waren erschienen, denn namhafte Persönlichkeiten des Berliner Theaterlebens waren als Diskutanten geladen: Ivan Nagel, der beredte Sachverständige des Kultursenators; Thomas Langhoff vom Deutschen Theater, Intendant auf Erfolgskurs; Alexander Lang, gescheiterter Kointendant am Schiller Theater; Hermann Hildebrandt, so schüchtern-nüchtern wie sein Job als Staatssekretär beim Kultursenat; der verwaltungstechnisch versierte Dr. Sauerbier vom Berliner Ensemble, der die Umwandlung des Repertoire-Spiels in einen semi stagione-Betrieb als »gemäßigtes Blocksystem« pries; und Frank Castorf, neuer und nervöser Hausherr der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, die er zum »Anti-Theater« ausgerufen hat. Castorf machte in erster Linie Werbung für sein Theater, aber da war er nicht allein.
Theaterstandort Berlin: Daß sie etwa einen gemeinsamen Standort hätten, nämlich Berlin, fiel in der Diskussion der Theatermacher nicht weiter auf. Oder wenigstens zwei Standorte, denn, wie Thomas Langhoff beklagte, die Theater in Ost und West werden nach wie vor ungleich behandelt, sprich bezahlt. Aber Konkurrenz belebt das Geschäft — und die Diskussion. Alles »Gejammer«, befand der vorpreschende Castorf, das Geld würde reichen; »ich will nicht jammern, sondern nur Konkretes benennen«, konterte Langhoff, »mir selbst geht's gut«. »Das stimmt«, feixte wieder der andere und lehnte sich wie sein Kollege kämpferisch mit verschränkten Armen im Stuhl zurück.
Frank Castorf hat es sich mit den Jüngeren noch nicht verdorben. Eintrittspreise unter zehn Mark als »Einstiegsdroge« lautet sein Credo, womit er die »unbewußt das Theater boykottierenden Gruppen wie Rentner, Schüler, Studenten« ins Theater locken will. Auch der BE-Vertreter kündigte die Einführung von Einheitspreisen an; was blieb da Langhoff noch anderes als zu sagen: was die machen, werden wir auch tun.
Mehrfach sprang Alexander Lang empört auf. »Ich bin nicht bereit, hier über die einzelnen Theater richten zu lassen«, sprach er, sobald die Rede auf die Subventionsruine Schiller Theater kam. »Dieses ganze Gerede über Theater auf Hauptstadtniveau ist doch Quatsch, laßt uns erst mal über Theater reden«. Die Geldklage würde von den Politikern vorgeschoben, um die Inhalte abzuschaffen. Was droht? Kommerzialisierung (siehe Musical-Deyhle, Kurz, u.a.), Fremdbestimmung durch andere Medien, womit wir beim reizendsten Nebenthema des Abends wären: den Fernsehgewohnheiten. Castorf sieht nun dank Satelitenschüssel »tutti frutti«, Langhoff guckt wenigstens die Sportschau, bloß Alexander Lang glotzt nicht in die Röhre. Er verharrt auf einer der als so dringend notwenig eingeforderten »elitären Kulturinseln« (O-Ton Castorf) — während die anderen »um den See rennen und sich an Dostojewski zu erinnern versuchen«.
Frank Castorf gab sich wenigstens programmatisch forsch: »Wir wollen die betonte Vereinseitigung« und diente sich den jungen Leuten im Publikum an (»Ihr könnt alle zu uns kommen«). Es fielen noch ein paar große Worte: »Wir stehen vor einer großen Zeit, wir wissen bloß nicht, wie sie ausschaut«, sprach der neue Guru. »Atmosphärisch ist es doch zur Zeit so, als stünden die Hunnen vor der Tür. Die werden uns alle überrennen, egal welchen Paragraphen wir finden werden. Da können wir doch nicht mehr fragen, ob das der Bund finanziert. Den gibt es dann gar nicht mehr.« Und die Frage nach dem Theaterstandort Berlin wäre dann auch endlich obsolet geworden. Sabine Seifert
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