Ein Gringo in Mexiko

■ Über B. Traven, 22.25 Uhr, Hessen3

Dokumentarfilme werden immer seltener im Fernsehen. Zumal solche, die 90 Minuten lang sind. In langsamem Rhythmus, der bewußt hektischer Reizüberflutung entgegensteuert, hat hr-Redakteur Wilfried F. Schoeller sich der rätselhaften Figur B. Traven angenommen. Fakten- und kenntnisreich lädt Schoeller zu einer literarisch- filmischen Spurensuche ein. Schoeller geht auch den entferntesten Hinweisen nach dem großen Anonymen nach. Er entwirrt das Dickicht der um Traven gesponnenen Legenden und stellt dabei stets politische Bezüge zur heutigen Situation Mexikos her. Im Gegensatz zu den bislang über den Schriftsteller gedrehten Filmen steht hier mehr dessen Werk im Zentrum. Traven war als Ret Marut berüchtigt, der in München die mit Karl Kraus' Fackel vergleichbare Zeitschrift Der Ziegelbrenner herausgab. Danach wurde er steckbrieflich gesucht. 1924 landete der deutsche Anarchist in dem mexikanischen Ölhafen Tampico. Mit seinen Romanen „Das Totenschiff“, „Die Baumwollpflücker“ und „Die Rebellion der Gehenkten“ gelangte der illegitime Sproß des letzten deutschen Kaisers zu Weltruhm. Er schrieb über die von amerikanischen Ölmultis ausgebeuteten mexikanischen Petroleumarbeiter und wurde zum literarischen Botschafter Mexikos. Traven wollte der mexikanischen Revolution — der einzigen, die ohne ideologischen Überbau auskam — ein literarisches Denkmal errichten.

Während der Verfilmung von „Der Schatz der Sierra Madre“ trat er John Huston inkognito als Berater zur Seite. Mit seinem Werk wollte Traven seine alte Identität auslöschen, um ganz Mexikaner zu werden. Aber: „Alle Ausländer sind Gringos“, sagt ein mexikanischer Greis, der sich an Traven erinnert, um, an den Filmemacher gewandt, hinzuzufügen: „Auch Sie sind ein Gringo.“ Manfred Riepe