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Gewinnen kann Ross Perot, der milliardenschwere Selfmade- man aus Texas, die Wahl um die US-Präsidentschaft am 3. No- vember zwar nicht. Aber mit seinem Wiedereinstieg ins Ren- nen um das Weiße Haus kann er die Wahlarithmetik in jenen Bundesstaaten durcheinanderbringen, die Bush und Clinton für den Sieg unbedingt brauchen. Aus Washington Andrea Böhm

Der dritte Mann belebt Amerikas Fernsehwahlkampf

Er sah, zahlte und kam wieder. Monatelang war Ross Perot das populärste Schreckgespenst des amerikanischen Zweiparteiensystems, bis er am 16. Juli überraschend seinen Ausstieg aus dem Rennen um das Präsidentenamt bekanntgab. Er sehe keine Chance zu gewinnen, erklärte er damals, und er wolle bei den Wahlen am 3.November nicht als Spaltpilz wirken. Jetzt ist der texanische Milliardär wieder da: Getragen von einer akribisch ausgewählten und finanzierten „Basisbewegung“, kürte sich Ross Perot letzte Woche selbst zum Kandidaten und löste damit hektisches Kopfrechnen in den Wahlkampfzentralen aus. Dort brütet man über einer Flut von Meinungsumfragen und der Gretchenfrage: Wem schadet der Texaner mehr — den Republikanern oder den Demokraten?

Der Bekanntgabe von Perots Entscheidung war ein absurd anmutendes Schauspiel vorangegangen. Tagelang ließ der Selfmademan in Fernsehinterviews Bemerkungen fallen, die man als Bereitschaft zur Kandidatur interpretieren konnte — oder auch nicht. Letzten Montag ließ er hochrangige Vertreter der Wahlkampfteams der Republikaner und Demokraten vorsprechen, um, so Perot, noch einmal zu überprüfen, ob sich die Kandidaten Bush und Clinton tatsächlich dem seiner Ansicht nach dringendsten Problem der Nation widmen: dem Haushaltsdefizit. Zu niemandes Überraschung kam Perot zu einem negativen Befund und erklärte sich daraufhin am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Dallas für unverzichtbar. Seinen Ausstieg im Juli bezeichnete er als Fehler. Nun wolle er sich dem amerikanischen Volk als Diener zur Verfügung stellen. Es folgten altbekannte Sätze wie: „Das Volk ist gut, aber die Regierung ist eine Katastrophe“ und: „Wir werden ein neues politisches Klima schaffen, in dem machthungrige Leute mit einem großen Ego keinen Platz haben.“

Inzwischen glauben allerdings viele ehemalige Sympathisanten, daß sein Ego mindestens so groß ist wie sein Bankkonto und beide Faktoren zusammen die Hauptantriebskräfte für seine Kandidatur ausmachen. Mit immerhin sieben Millionen Dollar hatte der 62jährige nach seinem vorläufigen Abschied im Juli die Perot-Büros im ganzen Land finanziert, die ihn schließlich mit Hilfe der vorgeschriebenen Unterschriftensammlungen in allen 50 Bundesstaaten auf die Kandidatenlisten setzten.

Doch landesweit ist das Interesse des amerikanischen Wahlvolkes an Ross Perot gesunken. Auf maximal sieben bis acht Prozent der Wählerstimmen schätzen Demoskopen sein Abschneiden. Seinen legendären Ruf als Robin Hood, der für die politikverdrossenen Amerikaner von Texas nach Washington reitet, hat er eingebüßt: Zum einen haben ihm viele Anhänger nicht verziehen, im Juli das Handtuch geworfen zu haben; zum anderen haben Berichte über sein autoritäres Gebaren, über Schnüffelaktionen gegen die eigenen Wahlkampfhelfer, gegen ehemalige Geschäftspartner, ja sogar gegen die eigenen Familienmitglieder viele Perot-Anhänger abgeschreckt. Zudem hatte sich das Wahlprogramm Perots bis zum Juli auf ein markiges „Ich-werde- das-Land-wieder-in-Schuß-bringen“ beschränkt. Die immer hartnäckigeren Fragen nach Details in Sachen Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik wollte und konnte er nicht beantworten.

Inzwischen läßt er zumindest sein Wirtschaftsprogramm in Form eines Taschenbuchs zirkulieren. Einziges erklärtes Ziel: der Abbau des Haushaltsdefizits, das 1992 über 330 Milliarden Dollar beträgt und voraussichtlich in den nächsten Jahren nicht kleiner wird. Mit einer Kombination aus Steuererhöhungen und drastischen Einsparungen im Rüstungs- und Sozialbereich will Perot innerhalb von fünf Jahren ein ausgeglichenes Budget vorlegen. Mit dem Thema hat er unzweifelhaft in Teilen der US-amerikanischen Öffentlichkeit und unter einer wachsenden Anzahl von Kongreßabgeordneten einen Nerv getroffen. Wirtschaftsexperten aller Couleur bescheinigen ihm Courage für solch unpopuläre Maßnahmen wie die Erhöhung der Benzinsteuer.

Der Medienrummel lenkt von Bushs Malaise ab

Doch selbst freundlich gesinnte Experten bezeichnen Perots Zeitplan als unrealistisch, Kritiker halten es für wahnwitzig, dem rezessionsgeplagten Land jetzt eine solche Roßkur zu verordnen. Perot ist jedoch fest davon überzeugt, daß die Mittelschicht, die einen Großteil der Last dieses Programms zu tragen hätte, „bereit ist, Opfer zu bringen, um den Haushalt auszugleichen“. Dies dürfte als eine der vielen Fehleinschätzungen in die Wahlgeschichte eingehen.

Wenn nun sein Einfluß auf das Wahlergebnis tatsächlich so gering sein wird, wie allseits prognostiziert, warum dann die ganze Aufregung? Perot kann die Wahlarithmetik in einigen Bundesstaaten durcheinanderbringen, die Bush oder Clinton gewinnen müssen, um ins Weiße Haus einzuziehen. Wer zum Beispiel in Kalifornien die Mehrheit der Stimmen erhält, kann die 54 Wahlmänner dieses Bundesstaates für sich verbuchen— und ist damit der für den Sieg nötigen Mehrheit von 270 Stimmen im sogenannten Wahlmännergremium ein ganzes Stück näher. Kalifornien war einst uneinnehmbares republikanisches Territorium. Doch inzwischen liegt Bill Clinton dort in den Umfragen so weit vorne, daß ihn voraussichtlich auch eine Kandidatur Perots nicht um die Mehrheit bringen wird. Anders in Texas, wo sich Clinton und Bush ein Kopf-an- Kopf-Rennen liefern. In seinem Heimatstaat könnte Perot dem Wahltexaner Bush so viel Prozente abjagen, daß Clinton gewinnt — und die 32 Wahlmännerstimmen dieses Bundesstaates einsammelt.

Es mag paradox erscheinen, daß außer den Journalisten, die wenigstens für ein paar Tage über etwas anderes als die jüngsten Umfragen schreiben können, vor allem die Republikaner die Wiederauferstehung Perots begrüßen. Der Medienrummel lenkt fürs erste von der desolaten Verfassung ihres Spitzenkandidaten Bush ab, der seit dem republikanischen Parteitag im August in allen Meinungsumfragen Bill Clinton hinterherhinkt — eine für einen amtierenden Präsidenten ungewöhnlich schlechte Ausgangslage. Zudem zieht Perot einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich, die ansonsten den jüngsten Wirtschaftsdaten zuteil geworden wäre. Demnach ist die Arbeitslosenrate im September zwar um 0,1 Prozent gesunken. Doch ist dies vor allem dem Umstand zuzuschreiben, daß eine wachsende Zahl von Arbeitslosen aufgrund der aussichtslosen Lage gar nicht mehr nach Arbeit sucht.

Und schließlich: Ross Perot kann über Gebühr Aufsehen erregen, weil er das Geld dafür hat. Wenn er will, kann er für die verbleibende Zeit des Wahlkampfs so viel Geld ausgeben wie George Bush und Bill Clinton zusammen. Für die nächsten Tage hat der Texaner für rund eine Million Dollar Werbezeit im Fernsehen gebucht. Über die Verkäuflichkeit des Produkts sagt das allerdings noch nichts aus. Nach dieser Woche wird man ein erstes Urteil abgeben können, ob die große Mehrheit der Amerikaner in Ross Perot tatsächlich nur noch den „kläffenden Chihuhua“ sieht, als den ihn die texanische Kolumnistin Molly Ivins einmal bezeichnet hat.

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