„Vermisse das Wort Pinscher“

■ Hermann Kant, der Ex-Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes, hat nach Aktenlage als „IM Martin“ 19 Jahre lang KollegInnen bespitzelt und bevormundet

Berlin (taz) — Der frühere Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes und Mitglied im Zentralkomitee der SED, Hermann Kant, war 19 Jahre lang unter dem Decknamen „Martin“ als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi tätig. Das berichtet der Spiegel. Mielkes Nachlaß dokumentiert, wie Kant in den Jahren von 1957 bis 1976 Studenten, Schriftsteller, Journalisten und Lektoren in beiden Teilen Deutschlands bespitzelte und wie er darüber ausführlich seinen Führungsoffizieren berichtete. Den Stasi-Akten zufolge war er aus eigenen Stücken auch treibende Kraft, wenn es galt, unliebsame Schriftsteller „zurückzudrängen“.

Hermann Kant, Jahrgang 1926, hat bislang jede Stasi-Tätigkeit vehement bestritten. Zuletzt verklagte er den Schriftsteller Reiner Kunze, der ein Stasi-Dokument veröffentlichte, in dem Kant mit der Empfehlung zitiert wird, Kunze aus der DDR auszuweisen. Der 66jährige überzeugte das Gericht, daß es sich um eine Fälschung handeln könne.

Derlei Widerspruch wird Kant, den Mielkes Genossen als „politisch-ideologisch sehr klar“ einschätzten, nach Aktenlage nicht aufrechterhalten können. Neun Bände mit rund 2.500 Blatt soll die Akte „Martin“ in der Berliner Gauck-Behörde umfassen: Tonband-Protokolle, Treff-Berichte, Quittungen für Geschenke und Belobigungen durch die Stasi-Führungsoffiziere.

Zu den Opfern Kants zählen laut Spiegel neben anderen der Liedermacher Wolf Biermann und die Schriftsteller Stephan Hermlin, Günter Grass und Stefan Heym. Kant plädierte beispielsweise dafür, „das feindliche Wirken des Schriftstellers Stefan Heym einzuschränken“. Seinen Führungsoffizieren gegenüber empfahl er ebenso ein hartes Druchgreifen gegen Dissidenten wie Robert Havemann. Ausweislich der Stasi-Dokumente verfertigte Kant auch Personenporträts. So findet sich Günter Grass heute in den Akten mit einer Eintragung von 1961 als „ein Mensch ohne jede feste politische Einstellung“ wieder.

Dem späteren DDR-Kulturminister Klaus Höpcke gratulierte „IM Martin“, als dieser im Neuen Deutschland Wolf Biermann niedermachte: „Vermisse erstaunt das Wort Pinscher“.

Kants überaus erfolgreiche IM- Karriere endete den Stasi-Aufzeichnungen zufolge 1976, als sich der Autor zum Mitglied der Berliner SED-Bezirksleitung wählen ließ. Den Führungsoffizieren war dies Anlaß, ihren Mitarbeiter mit der Registriernummer 5909/60 für die Verleihung der „Medaille der Waffenbrüderschaft in Silber“ vorzuschlagen. Der IM, hielten sie fest, habe „Zuverlässigkeit, Verschwiegenheit sowie hohe Einsatzbereitschaft und Ehrlichkeit“ bewiesen. Darauf konnten die Offiziere auch weiterhin setzen: „Bei Vorliegen besonderer sicherheitspolitischer Erfordernisse im kulturellen Bereich kann jederzeit offizieller Kontakt zu dem Genossen Kant gehalten werden.“ wg