: Verspätete Trauerarbeit
Die abgesagte Trauerfeier für Marlene Dietrich wurde am Tag der deutschen Einheit nachgeholt ■ Von Claudia Brunst
Die grauhaarige Frau, die mit gebeugtem Rücken ihren abgetragenen Herbstmantel über den Vorplatz des Deutschen Theaters trägt, wirkt etwas verloren zwischen den vielen gut angezogenen Theatergängern; gäbe man ihr statt der altertümlichen Handtasche eine grüne Gießkanne in die Hand— sie paßte recht gut auf eines der vielen Fotos, die damals im Mai anläßlich der Beerdigung von Marlene Dietrich jene verhärmten Berlinerinnen zeigten, die der Dietrich ihren aufrechten (Weg-)Gang bis heute nicht verziehen haben. So sahen sie aus, die verbitterten Kriegswitwen, die, noch als Marlenes Sarg an ihnen vorbeizog, lautstark und harsch von Vaterlandsverrat und Schlimmerem gesprochen hatten. „Sie waren einfach böse zu mir“, schrieb die Dietrich rückblickend auf ihre 1960 abgebrochene Deutschlandtournee, als die Berliner sie am liebsten gelyncht hätten, „und nichts, was ich tat, tat ich recht. Es ist schließlich mein Heimatland. Wenn es keinen Hitler gegeben hätte, würde ich noch heute dort leben. Es ist mein Verlust, nicht der ihrige.“
Aber die alte Dame, die seit zehn Minuten vor dem Deutschen Theater von einer plaudernden Gruppe zur nächsten zieht, hat ganz andere Absichten: „Haben Sie vielleicht noch eine Karte für die Marlene-Revue übrig?“ fragt sie jetzt ausgerechnet den Intendanten des Deutschen Theaters. Freundlich bedauernd schüttelt Thomas Langhoff den Kopf. Sein Haus ist heute morgen ausverkauft. Die vielen Menschen, die schon seit einer Stunde nach Eintrittskarten anstehen, werden kaum noch Glück haben. Und doch hat die lange Schlange vor der Tageskasse etwas durchaus Ermutigendes. Wie damals, als der Berliner Senat sich nach langem Hin und Her dem pöbelnden Volkszorn beugte und die offizielle Trauerfeier unter fadenscheinigem Vorwand abblies, um sich dann von jenen Hunderttausenden eines Besseren belehren zu lassen, die stundenlang geduldig vor Marlenes Grab anstanden — genauso zeigen die Berliner auch an diesem Tag ganz inoffiziell Flagge. Wenigstens bei dieser so spät nachgeholten Ehrung für ihre Marlene möchten sie dabeisein, ihre Solidarität zeigen und ihr Anerkennung für ihre aufrechte Haltung gegenüber dem Naziregime zollen. Auch Klaus Siebenhaar, künstlerischer Direktor des Deutschen Theaters, und Helmut Baumann, gleiches am Theater des Westens, haben die „Blamage um die Hommage“ mit ihrer Revue fast wieder wettmachen können. „Mein Name ist Marlene Dietrich — Texte und Lieder einer Berlinerin“ haben sie ihr liebevoll zusammengestelltes Programm genannt, in dem nicht nur die vielen schönen Evergreens von Friedrich Hollaender, sondern auch jene haßerfüllten Schimpfkanonaden zitiert wurden, die Marlene Dietrich das Heimkommen 1960 unmöglich machten. Stimmen, die auch im Mai 1992 noch nicht verstummt waren.
Das aus beiden Theatern zusammengestellte Ensemble bot — oft hinreißend komisch — einen eigenwilligen Querschnitt durch Marlenes vertontes Lebenswerk. Daß ausgerechnet der — des Gesanglichen aufs witzigste nicht mächtige — Udo Kroschwald „Ich hab' noch einen Koffer in Berlin“ vortrug, hätte Marlene, die ihren Humor bekanntermaßen nie verloren hat, sicher sehr gefallen. Auch Katrin Kleins Version von „Kinder, heut abend, da such' ich mir was aus“, in dem die Schauspielerin frivol ihren Minirock schürzte, war viel mehr als nur eine ehrfürchtige Verbeugung vor der verstorbenen Diva. Zwei wunderschön vorgetragene Hollywood- Medleys und Helmut Baumanns gefühlvolles Solo „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ vollendeten ein Potpourrie, das ohne viel Pomp, dafür mit um so mehr Gefühl für Stimmungen daherkam.
Mit ausgewählten Zitaten aus Interviews und ihrem autobiographischen Werk wurde die Dietrich im Deutschen Theater, wo sie zu Beginn ihrer Weltkarriere einst Max Reinhardt vorgesprochen hatte, noch einmal mit all ihrem Großmut, ihrer Aufrichtigkeit und ihrem Berliner Witz lebendig. „Es lebe Marlene!“ rief Inge Keller, die Grand Old Lady des Deutschen Theaters, zum bewegenden Abschluß dieser stilvollen Matinee, nachdem sie noch einmal Marlenes Lieblingsgedicht vorgetragen hatte: „Oh lieb, solang Du lieben kannst“, heißt es da. Es bleibt eine traurige Wahrheit, daß die Berliner sich auf Marlenes Liebe erst so spät besinnen können. Schade auch, daß der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen an diesem Tag der deutschen Einheit keine Zeit für einen Theaterbesuch hatte.
Am 23. November wird die „Marlene Dietrich Revue“ im Theater des Westens wiederholt.
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