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Mit Stasi-Akten gegen die alte Macht

Joachim Gauck zieht Zwischenbilanz: Die Aufarbeitung der Vergangenheit kann nicht einfach abgebrochen werden/ 1,4 Millionen Anträge auf Aktenüberprüfung  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Joachim Gauck zog Bilanz: Zwei Jahre nach der Einrichtung seiner Behörde konnten 210.000 Anträge auf Stasi-Überprüfung erledigt, die Aufarbeitung der DDR- Vergangenheit aber noch lange nicht bewältigt werden. Vorwiegend positiv sieht der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen die bisherige Arbeit seiner Behörde und ihre Wirkung in der Öffentlichkeit. Mehr als 1,4 Millionen Anträge auf Überprüfungen und Akteneinsicht sind nach seinen Worten seit dem Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Januar in der Berliner Zentrale oder den Außenstellen eingegangen. In 880.000 Fällen sollte dabei eine mögliche Verstrickung mit dem Staatssicherheitsdienst geprüft werden. 60.000mal konnten seit Jahresbeginn die BürgerInnen die über sie angefertigten Stasi-Unterlagen einsehen.

Der frühere Rostocker Pfarrer zeigte sich gestern vor Journalisten in Berlin zuversichtlich: „Die Bürger können hoffen, daß sie in absehbarer Zeit ihre Akten zu sehen bekommen.“ Statistisch gesehen, merkte Behördendirektor Hansjörg Geiger an, finde sich bei den Überprüfungsverfahren in jedem zehnten Fall in den Archiven ein Hinweis auf eine Stasi-Verstrickung. Bei denjenigen, die ihre Akten einsehen wollten, finde annähernd jeder fünfte, daß er ins Fadenkreuz der Stasi gerückt war.

Der teilweise heftigen Kritik an der Arbeit der Stasi-Akten-Behörde, die insbesondere am Fall des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe entbrannte, trat Gauck entschieden entgegen. In einem Recherchebericht für den Potsdamer Untersuchungsausschuß war die Gauck- Behörde im April zu dem Ergebnis gekommen, daß der „IM Sekretär“ nach den Maßstäben der Staatssicherheit über mehrere Jahrzehnte ein wichtiger Inoffizieller Mitarbeiter des Mielke-Ministeriums gewesen sein muß. Stolpe behauptet hingegen, ohne sein Wissen und gegen seinen Willen als Inoffizieller Mitarbeiter geführt worden zu sein — eine Version, die auch die Führungsoffiziere des „IM Sekretär“ vor dem Untersuchungsausschuß bekundet haben.

Ohne den Fall des Ministerpräsidenten beim Namen zu nennen, wiederholte Gauck seine Feststellung, wonach sich bei der Auswertung der Stasi-Materialien „bislang keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die darin enthaltenen Fakten unzutreffend oder aus welchen Gründen auch immer gefälscht sind“. Die Klassifizierungen ihrer geheimen Mitarbeiter habe die Stasi „exakt“ vorgenommen. Die „Fälschungsthese“, so Gauck weiter, tauche immer dann auf, „wenn sich eine Person im öffentlichen Leben im Rückwärtsgang befindet“. Ihm sei auch keine Klage Stolpes bekannt, der öffentlich angekündigt hatte, gerichtlich die Herausgabe von entlastenden Dokumenten erzwingen zu wollen. Gauck und Geiger erklärten weiter, Stolpe sei jede ihn betreffende Stasi-Unterlage zur Verfügung gestellt worden.

Das gegenwärtige Unbehagen an der Vergangenheitsbewältigung führte Gauck auf eine „undifferenzierte Bearbeitung“ einzelner Fälle in Teilen der Medien zurück. Eine falsche Konsequenz sei, „aus einem Überdruß an ,Stasi- Stories‘ zu schließen, man könne die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit jetzt beenden“. Nach wie vor hätten die Bürger ein Interesse daran, endgültig die Macht der SED-Funktionäre zu brechen, die nach der Wende wieder in einträglichen Positionen tätig seien. Sinn und Zweck des Stasi-Unterlagen-Gesetzes sei auch, „belastete Personen aus Führungspositionen und Positionen der Begünstigung zu entfernen“.

Wie umstritten die Arbeit der Gauck-Behörde unter Bonner Spitzenpolitikern ist, zeigte bereits am Vortag eine Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion, die im Berliner Reichstagsgebäude eine Zwischenbilanz zu zwei Jahren deutsche Einheit zog. Der Bonner Fraktionschef Hans-Ulrich Klose, ein Parteifreund Stolpes, warf dem Bundesbeauftragten vor, daß die gegenwärtige Vergangeheitsbewältigung Gefahr laufe, „elementare Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit zu verletzen“. Er beobachte nicht nur, daß die „notwendige Distanz“ zu den Stasi-Aufzeichnungen fehle — es werde auch gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstoßen. Eine mögliche Schuld müsse in einem „geordneten Verfahren bewiesen“ werden.

Kloses Kritik, die er ausdrücklich als private kennzeichnete und die bei den ostdeutschen SPD-Mitgliedern in der Arbeitsgruppe auf einiges Unverständnis stieß, kulminierte in der Aussage: „Ich wünschte, wir hätten die Archive den Historikern und Staatsanwälten, aber einstweilen nicht der Bevölkerung geöffnet.“ Joachim Gauck reagierte heftig: „Niemand, auch ich nicht, erfindet die Bezeichnung IM — wir finden sie vor.“ Was einige in der Arbeitsgruppe als „Anklänge an Inquisition und Hexenprozesse“ bezeichneten, sei eine „Beleidigung meiner Mitarbeiter, meiner Person und der Abgeordneten zweier Parlamente, die das Stasi-Unterlagen- Gesetz verabschiedet haben“.

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