Durchs Dröhnland: Ein Song ist ein Song ist ein Song
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte
Wir sind inzwischen so weit, daß nicht nur Jazz-Musikanten sondern auch Rock-Bands damit werben, daß die einzelnen Mitglieder mal dort und da gespielt haben. So hausierten Klaw mit der Vergangenheit als Wipers- Bassist und UK-Subs-Schlagzeuger. Die eine Hälfte hat sich aber inzwischen auf der Bühne den Knöchel dreifach gebrochen und wurde ersetzt, so daß nur noch der UK-Subs-Einfluß prägend vorhanden ist. Definitive Aussagen lassen sich also nicht zweifelsfrei treffen, um so mehr als Augenzeugen berichten, daß sich Klaw nicht mehr anhören wie auf Platte, aber irgendwie Punkrock wird es schon sein.
Am 9.10. um 22.30 Uhr im Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg
Neueste Nachrichten aus der stadtinternen Wüstenlandschaft Berlins: Die Profanes versuchen sich in melodischem Gitarrengeklimper, das selten zwischen Getröpfel und Gewitter changiert, aber meistens die goldene Mitte bei moderatem Tempo bevorzugt. Dabei entwickeln sie durchaus einen gelungenen Eindruck von der Weite zwischen den Hinterhofmauern, aber der Sänger hat ein Organ, das besser zu Kinderinstrumenten passen würde. Sein Nölen trübt die Freude daran, daß es so was Unmodernes noch aus voller Überzeugung geben kann. Menschen, die melancholisch sind, weil Amerika immer noch so weit weg ist, trauern mit den Profanes.
Am 9.10. um 21 Uhr im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstr. 7
Der allwöchentliche Tip für die Freunde des Altbekannten und Fürgutbefundenen soll auch diesmal nicht fehlen: The Broken Toys gründeten sich 1985 in Boston und spielten damals begeistert 77er-Punkrock. Das hat sich bis heute nicht geändert, deshalb rumpumpeln die Gitarren immer noch so schön. Und weil kein amerikanischer Kater mehr mit so was hinter seinem Ofen hervorzulocken ist, kommen sie inzwischen auf einem deutschen Label heraus.
Die Wombels aus Ulm entstanden zur gleichen Zeit und spielen denselben Stoff einfach nur schneller. Besonders stolz sind sie auf ihre eingängigen Melodien. Früher hat man irgendwelche peinlichen Stücke doppelt so schnell nachgespielt, heute schreibt man sie selber. Wer die Buzzcocks mag, wird sich hier auch freuen.
Am 9.10. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str. 157, Schöneberg
München, das war schon immer eine eher traurige Stadt, gerade weil sie so krampfhaft lustig war. Die »Weltstadt mit Herz« ist jetzt noch etwas trauriger, denn Milch sind umgezogen nach Hamburg, und da passen sie auch wesentlich besser hin. Milch spielen alles, was man spielen kann, wenn »Deutsche Popmusik« draufsteht. Das ist zwar eigentlich nicht viel, aber genug, um ziemlich wirre Platten zu machen. Mal haben sie den Humor und die Kinderlied-Ästhetik von Foyer des Arts, dann die schwerverdaulichen, nicht mal richtig assoziativen Verse von Blixa Bargeld, dann den Drang zum Blues wie die Kastrierten Philosophen (die bei der letzten Milch-Platte mitgespielt und produziert haben), oder auch ganz platt die primitiven Tanzrhythmen der Neuen Deutschen Welle. Man kann also schon sehen, daß Milch komplizierter sind, als ihr Name das glauben machen will. Am einfachsten sind noch die Scherze für Otto Normalverbrauchers wie mich, so zum Beispiel, wenn sie den alten Gassenhauer »Über sieben Brücken mußt du geh'n« nachspielen. Doch dann stellt einen die Musik wieder vor ähnlich unlösbare Probleme wie die Worte, die für beschränkte Köpfe wie mich nur schwer aneinanderpassen wollen: »Leise getragen / Bar zahlen Augenblicke / Streng trug der Phallus den Wirt durch die Landschaft.« Das Duo belebt die längst totgesagten Prinzipien der genialen Dilettanten wieder und geht trotzdem versiert mit der Technik um. Schwerer Stoff und nickelbrillengeprüft: Masochismus in Noten. Wohl leichter verdaulich ist Das Neue Brot, Frieslands einzige Raveband, wenn auch inzwischen nach Hamburg verzogen, vor allem weil es dort mehr Rolltreppen gibt als in Emden. Hier blökt nicht das Rind, hier groovt es.
Am 10.10. um 21 Uhr in der Wabe, Dimitroffstr. 101, Prenzlauer Berg
Der Lauf der Zeiten verklärt einiges. Selbst The Mamas & The Papas erscheinen in der Rückschau besser, als sie damals waren. Von der Originalbesetzung ist nur noch das Ehepaar Phillips dabei. Michelle, vormals Hauptdarstellerin in jedem zweiten feuchten Hippie-Traum, sieht inzwischen aus wie eine Avon-Beraterin, und Ehemann John erzählt bei Konzerten gerne von den ach so verruchten Haschisch-Partys mit den Doors und Grateful Dead, und das Publikum macht »Huch«. Scott McKenzie (ja, der mit »San Francisco«) ist bei ihnen eingestiegen und fast so dick geworden, wie Mama Cass mal war. Die hat immerhin einen der besten Tode im Musikgeschäft abgeliefert: Sie verschluckte sich 1974 an einem Sandwich und erlag einer Herzattacke.
Am 10.10., 20 Uhr, Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
Archaisch ist manchmal auch ganz schön. All sind wie Prä- Steinzeit, All sind wie Dinosaurier. Sie können Tyrannosaurus sein, gefährlich und zähnefletschend, aber auch wie die gemütlichen Pflanzenfresser mit den ewig langen Hälsen, bei denen die Nervenenden so lang sind, daß Informationen einige Sekunden brauchen, um vom Schwanz bis ins Hirn zu gelangen: Sie können auch das mittelschnelle Riff, mit dem man zwar langsamer, aber unweigerlich auch zum Ziel kommt. All spielen Hardcore, so wie er einmal gespielt wurde, als Hardcore noch ursächlich Punkrock hieß, aber die satten Gitarrentöne des Metal erst kürzlich entdeckt und einbezogen hatte. So wie sie sich auf Platte nicht lange mit irgendwelchen Intros aufhalten, sondern voll reinspringen ins Riff, in den Rhythmus, gibt es auch live keine spanischen Wände oder Potemkinschen Dörfer. Ein Song ist ein Song ist ein Song, da ist nicht mehr zu suchen oder zu finden. Alles, was sie geben können, keine Spielereien, pure Essenz, Musik wie die Prosa von Hemingway. Und ein Konzert ist eben ein Konzert ist ein Konzert. Und so ein Konzert ist schweißtreibend, deshalb kann man auch gleich mit nacktem Oberkörper auf die Bühne kommen. Dies ist dann eben nicht Pose, sondern rein praktisch, weil man sich sowieso das T-Shirt naß macht. Auf der Bühne wechseln sie gerne die mittelschnellen Stampfrocker mit der unvergleichlichen Melodie und der durchschnittlichen Länge mit kurzen explosiven Kleinteilchen ab. Die Kleiderfrage wird nicht gestellt, schweißnasse Haut ist schick genug.
Mit Black Virgin und Y-Fronts am 11.10. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt Thomas Winkler
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