Schöne Künste für die Messestadt

■ Nach 40 Jahren hat Hannover wieder ein Schauspielhaus / Kostenexplosion beim Bau

Hannover, nun freue Dich! Harren mußtest Du über 40 Jahre auf ein Schauspielhaus, und jetzt — endlich! — steht es da in jungfräulichem Weiß, ein gedrungener Klotz mit zwei Zacken, eingezwängt in eine enge Straße: wie ein zwar monströs-verwachsenes, aber sanftmütiges Kind. Die Geburt war unvergleichlich schwer. Die früher als Schauspielhaus genutze „Schauburg“ wurde im 2. Weltkrieg zerstört. Weil der Wiederaufbau des Opernhauses dringlicher war, begnügte man sich für das Theater mit dem Ballhof, ein Fachwerkgebäude aus dem 17. Jahrhundert. Während der 50er Jahre drehte sich die Diskussion vor allem um die Frage, wo, wenn denn endlich Geld da wäre, ein neues Theater stehen sollte. Die Wahl fiel auf den Raschplatz, das sprichwörtliche Gebiet „hinter dem Bahnhof“, das bis heute ein Monument verunglückter Planungen ist.

1963 wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, zwei Jahre später ein überarbeiteter Entwurf vom Bauausschuß des Rates beschlossen. Geplante Kosten damals: 37,5 Millionen Mark. Am 30. Juni 1966 sollte der Grundstein gelegt werden, doch einen Tag vorher annullierte der Rat sämtliche Verträge und Abmachungen: Es war kein Geld da.

Der zweite Architektenwettbewerb (1968/69) und die endgültige Entscheidung einer Gutachterkommission endeten in Turbulenzen. Den Zuschlag bekam schließlich der Schweizer Architekt Claude Paillard — gegen heftige öffentliche Kritik. Doch 1970 war auch dieses Projekt gescheitert: Es war kein Geld da. Statt dessen entschied man sich für eine kleine Lösung, den Umbau des Ballhofs für 7,5 Millionen Mark.

Ein Kulturvertrag zwischen Land Niedersachsen und Stadt Hannover sorgte 1987 für die Vorausetzung. Beide Seiten wollten 50 Millionen für Sprengelmuseum und Theater einbringen. Nur der Raschplatz war mittlerweile bebaut. Die Verwaltung prüfte 21 Varianten für einen anderen Standort und blieb bei dem kleinen Grundstück in der Prinzenstraße hängen. Aus einem beschränkten Wettbewerb ging erneut Claude Pallard als Sieger hervor.

Wohlan, am 24. April 1990 wurde der Grundstein gelegt. Eigentlich klappte nun alles gut, bis auf eine Kleinigkeit: Die vorher auf 45 Millionen Mark begrenzten Baukosten stiegen auf über 60 Millionen.

Sind 60 Millionen Mark angemessen für eine Heimstatt der Abonenntenkultur? Schließlich muß eine Messe- und Landeshauptstadt ein repräsentatives Schauspielhaus vorzeigen können. Ein „weicher Standortfaktor“, wichtig für die Ansiedlung neuer Betriebe.

Ein Argument, das Intendant Eberhard Witt kaum in den Vordergrund rücken würde. Witt hat nicht unbeträchtlichen Anteil daran, daß die Planungen für einen Neubau zügig vorankamen. Genau den hatte er nämlich zur Bedingung gemacht, bevor er nach Hannover wechselte. Als er zur Spielzeit 89/90 mit seiner Arbeit begann, galt das Staatstheater in Hannover als hoffnungslos provinziell. Witt gab sich selbstbewußt, engagierte junge Schauspieler und Regisseure und plötzlich reisten Kritiker aus Hamburg, München und Frankfurt an, guckten und lobten. Der Aufstieg in die erste Liga war gelungen.

Als aber im November letzten Jahres in der Prinzenstraße Richtfest gefeiert wurde, war Witt schon wieder weg. Nicht wirklich zwar, aber es war beschlossene Sache, ihn vorzeitig — „auf eigenen Wunsch“ — aus seinem Vertrag zu entlassen, damit er zur Spielzeit 93/94 einem Ruf nach München folgen kann. Etliche Ensemblemitglieder aus Hannover werden ihn begleiten. Bei der Suche nach einem Nachfolger wurde Ministerin Helga Schuchardt ebenfalls in Süddeutschland fündig: Ulrich Khuon, derzeit in Konstanz, wird im nächsten Jahr die Intendanz übernehmen, ohne im Augenblick zu wissen, was er übernimmt, denn ob der Ballhof wie geplant als Autorenbühne eingerichtet wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Es ist kein Geld da. Auf jeden Fall wird er ein großes Haus vorfinden, das so groß nun aber auch wieder nicht ist. Mit 630 Plätzen ist die Kapazität im Vergleich zum Ballhof (350) nicht einmal verdoppelt.

Am Samstag, den 31. Oktober wird unter dem Motto „Fest-machen“ die Eröffnung gefeiert. Die Attraktion soll ein Variete- Theater sein, der „Tiger-Palast“ aus Frankfurt. Dann gibt es drei Premieren an drei aufeinanderfolgenden Tagen: „Glaube, Liebe, Hoffnung“, die „Dreigroschenoper“ von Brecht und „Lulu“ von dem in Hannover geborenen Frank Wedekind. Dietrich zur Nedden