Das starke Stück des Innensenators

Albert Hetterle hat während Jahrzehnten das Maxim Gorki Theater geleitet. Jetzt streiten sich zwei Berliner Senatoren darüber, ob der Genosse Intendant abgewickelt werden muß  ■ Von Petra Kohse

In Berlin gibt es bekanntlich derzeit mehr Theater, als der Senat unterhalten können will. Das Deutsche Theater und die Schaubühne warten noch auf die volle Auszahlung der ihnen zugesagten Subvention, die Freie Volksbühne wurde durch die Streichung jeglicher Unterstützung in die Prostitution getrieben, und immer mal wieder will man die Deutsche Oper schließen. All das scheinen Symptome einer von Senatsseite betriebenen Theaterkrise zu sein. Dabei überdeckt das Gejammer über die Kosten den unbezahlbaren Prestigegewinn, den der westliche Teil der selbsternannten Theatermetropole dadurch erhält, so traditionsreiche Häuser wie das Deutsche Theater und die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wieder auf dem großen gelben Spielplanplakat stehen zu haben.

Mit einem anderen Theater, das — in den Worten von Staatssekretär Hildebrandt — zu den »übernommenen« zählt, tut sich der Senat allerdings schwerer. Das Maxim Gorki Theater ist ein originäres DDR-Theater. Als »Kleines Theater Unter den Linden« machte es vor 1945 kaum von sich reden. Die Sowjets richteten dort nach Kriegsende das »Theater des Hauses der Kultur der Sowjetunion« ein. Nun war hier, hinter dem Kastanienwäldchen, »zielstrebiges Propaganda-Theater« (Friedrich Luft) zu sehen. 1948 inszenierte Wolfgang Langhoff beispielsweise Wischnewskijs »Optimistische Tragödie«. Schließlich erbarmten sich die SED-Kulturpolitiker des Hauses mit dem kunstfeindlichen Namen und überließen es 1952 dem Remigranten aus der Sowjetunion und Stanislawski-Anhänger Maxim Vallentin. Vor fast 40 Jahren, am 30. Oktober eröffnte er die Bühne unter dem neuen Namen »Maxim Gorki Theater«.

Albert Hetterle war ab 1955 als Schauspieler in Vallentins Ensemble zu sehen und wurde sein Nachfolger als Intendant. Seit fast einem Vierteljahrhundert leitet er das Haus jetzt. War Vallentin in Spielplan und Inszenierungsstil eher allgemein der sowjetischen Tradition verpflichtet, so erblühte das Maxim Gorki Theater unter Hetterle zu einem vollgültigen DDR-Theater. Vor allem neue Dramatik wurde hier gespielt, es gab Uraufführungen von Rainer Kerndl, Karl Grassauer, Rudi Strahl, Jürgen Groß und Peter Hacks. Als eines der ersten DDR-Theater gastierte das Maxim Gorki Theater auch beim Westberliner Theatertreffen mit Volker Brauns »Übergangsgesellschaft« in Thomas Langhoffs Regie. Hetterle war dort (und ist es am 22.10. wieder) als alter und uneinsichtiger Kommunist zu sehen.

In diese Rolle, so scheint's, schiebt man ihn jetzt auch in der Wirklichkeit. Als Theaterleiter war Hetterle natürlich in der Partei. Überdies war er Mitglied der Bezirksleitung Berlin, und als solches wird er der Stasi-Mitarbeit verdächtigt. Innensenator Heckelmann, mit der Entstasifizierung auch der Theater befaßt, will Hetterle dieses Verdachts wegen abwickeln. Auch an anderen Theatern habe sich ein Leitungswechsel vollzogen, so meint Heckelmann, warum also nicht am Maxim Gorki Theater ebenfalls. Doch Dieter Mann vom Deutschen Theater ist selbst zurückgetreten, und Manfred Wekwerth vom Berliner Ensemble war Mitglied des ZK gewesen. Einen vergleichbaren Fall gibt es also nicht. Kultursenator Roloff-Momin stellte sich denn auch vor Hetterle und will einen neuen Vertrag mit ihm schließen, um dessen jahrzehntelanges Verdienst um das Theater zu würdigen.

Doch genau dieses Verdienst ist ein DDR-Verdienst, und damit ein Erbe, das heute lieber unter den Einheitsteppich gekehrt wird, hängt an ihm doch nicht nur kultureller Glanz, sondern auch politisches Elend des ehemaligen Nachbarstaates. Denn: Ein tatsächliches Vergehen gegen die Menschlichkeit war Hetterle bislang nicht nachzuweisen. Sein größter Fehler ist offenbar, daß er ein DDR- Theater solide und erfolgreich leitete, das auch im vereinten Berlin seinen Platz schnell gefunden hat. handwerklich zuverlässige und niveauvolle Aufführungen sind im Maxim Gorki Theater zu sehen wie Horvaths »Unbekannte aus der Seine« in Ernst Stötzners Regie. Auch Thomas Langhoffs Inszenierung von Taboris »Mein Kampf« oder besagte »Übergangsgesellschaft« gehören noch immer zum Repertoire, und als zweite Bühne in Berlin, wagt sich das Maxim Gorki Theater an Joshua Sobols »Ghetto« (Carl-Hermann Risse bringt es am 14. Oktober zur Premiere), ein Stück, das 1985 in Zadeks Regie für Aufruhr sorgte.

Roloff-Momin also steht gegen Heckelmann. Und weil diese Kontroverse einerseits so eng mit der kulturellen Identität der ehemaligen DDR-Künstler zusammenhängt und es andererseits gilt, die Kultur vor den Übergriffen des Innensenators zu bewahren, haben sich die Berliner Intendanten einstimmig und demonstrativ für Hetterle ausgesprochen. Einstimmig? Nein, Frank Castorf (Vorsicht Volksbühne!) distanzierte sich von der Solidaritätserklärung seiner Kollegen und plädierte dafür, Hetterle wie jeden anderen auch zu prüfen und das Intendantenamt nicht zur Heiligen Kuh zu machen. Prüfen soll man, nicht verurteilen. Offensichtlich ergab die Prüfung jedoch keinen Anklagepunkt.

Pro und contra Hetterle ist zu einer Machtprobe zwischen Kultur- und Innensenat geworden. Nun soll der Regierende Bürgermeister entscheiden. Weise und unparteiisch natürlich. Aber egal, wie der Schiedsspruch lauten wird, die Tatsache allein, daß man ausgerechnet einen 74jährigen Intendanten demonstrativ von einem Stuhl holen will, den er ein knappes Vierteljahrhundert zu aller Zufriedenheit gewartet hat, ist beschämend. Beschämend, weil man offenbar lieber ein Exempel statuieren will, anstatt sich mit dem künstlerischen Erbe der DDR konstruktiv auseinanderzusetzen.