Nachtgedanken

■ Chaim Noll: "Nachtgedanken über Deutschland". Essay

Er hat sich verabschiedet, erst aus der assimilierten deutsch-jüdischen Familie im Osten Deutschlands, dann vom Osten selbst, vom alten Westen und dann dem vereinigten Deutschland. Ein langer Weg. Chaim Noll lebt heute in Rom und macht sich in Heinescher Tradition „Nachtgedanken über Deutschland“. Hier leuchtet kein Stern. In diesem Land herrscht Finsternis. Deutschland sinke nur tiefer und tiefer, habe immer schon das Fremde gehaßt und die Kritiker verfolgt, so Noll, sei voller „Neid, Mißtrauen, gestörte(r) Kommunikation“, kein Kulturvolk, sondern habe eine Sprache voller verdorbener Worte und zeige kein „heilsames Lachen und Weinen“ im Shakespearschen, Molierschen und Danteschen Sinne. Noll fügt nicht wie Tucholsky in dessen „Deutschland, Deutschland über alles“ (1929) ein versöhnendes Schlußwort hinzu: „Ja, wir lieben dieses Land“. Sein Morgengrauen: „Möge Euch nie das Geld ausgehen, Deutsche, damit niemand erfahre, wie verdorben Ihr seid.“

Chaim Noll: „Nachtgedanken über Deutschland“. Essay. rororo aktuell 1992, 14DM