: Offensive mit dem Rücken zur Wand
■ Ein neues Handbuch über die Taktiken und Machenschaften der Atomwirtschaft
Zitieren ist des Journalisten täglich Brot: Zitat und Realität gegenüberzustellen ein gängiges Stilmittel. Die Autorin und die beiden Autoren, allesamt langjährige Umweltjournalisten, haben ein Buch geschrieben, das sie als Meister des Zitierens ausweist. Gekonnt montieren sie den alltäglichen Wortwahnsinn der Atomgemeinde und entlarven ihn durch die Gegenüberstellung. Zum Beispiel die Atomkraft als Mittel gegen den Treibhauseffekt: „Wenn zuvor in groß aufgemachten Anzeigen zur Atomenergie wortgewaltig beschworen wurde, daß 'es auf der Erde immer wärmer wird, die Wüsten sich ausbreiten, Eisberge schmelzen, der Meeresspiegel steigt‘, so heißt es jetzt in einem Sechs-Punkte-Papier der VDEW (Dachverband der Stromkonzerne, H.J. T.) eher kleinlaut: 'Über Ausmaß, zeitlichen Verlauf und Auswirkungen des Treibhauseffekts bestehen noch Unklarheiten.‘“ Weshalb, so dokumentieren sie die Schlußfolgerung der Industrie, vor einem voreiligen Klimaschutzprogramm, das Kohle und Braunkohle belaste, nur gewarnt werden könne. Der VDEW lehnt den Neubau von Atomkraftwerken schlicht ab, wenn sie laufende Kohle- oder Braunkohlekraftwerke ersetzen sollen.
Fast schon genial die Zusammenstellung der Stimmen aus der Energiegemeinde, wenn es um Tschernobyl geht. Schon 1988 warnte der Hauptgeschäftsführer des VDEW, Joachim Grabe, vor einer Übertreibung der atomaren Gefahren: „Sonst müßte man Streichhölzer verbieten. Achtlos weggeworfen, haben sie schon verheerende Waldbrände verursacht und erst vor wenigen Monaten beim Brand im Londoner U-Bahnhof King's Cross 31 Tote gefordert.“ In Tschernobyl sei die Zahl der Toten auch nicht höher gewesen. „In der Geschichte der Technik keineswegs ein herausragendes Ereignis.“
Zwei zentrale Argumente beherrschen derzeit die Debatte um das ewig strahlende atomare Feuer. Sie ziehen sich auch durch dieses Buch: Einmal behauptet die Atomgemeinde — soweit es ihr in den Kram paßt —, Atomkraft sei weniger klimaschädlich als andere Energieformen. Die Autoren lichten diesen Trockeneisnebel der Industrie. Sie belegen, daß Energiesparen der billigere und wesentlich effizientere Klimaschutz ist. Zum zweiten aber sollen vor dem Hintergund der osteuropäischen Energieverschwendung die Westmeiler sicherer wirken und die Ostnachrüstung zum großen Geschäft werden.
Der Osten, das zeigen Rosenkranz, Meichsner und Kriener deutlich, verfügt nicht über die 1.000 Milliarden Mark, um die Modernisierung seines Energiesystems selbst vorab zu finanzieren. Die großen versprochenen Hilfsprogramme des Westens bleiben ebenfalls aus. Um in Osteuropa dennoch Geld zu verdienen, ist die Atomgemeinde auf eine perfide Idee verfallen. Deutsche Stromversorger lassen sich gegen Devisen aus den maroden Meilern der CFSR (Bautyp Greifswald) Strom liefern. Wenn zwei weitere Meiler in den kommenden Jahren ans Netz gehen, soll dieses Geschäft sogar noch deutlich ausgebaut werden. Die Österreichische Elektrizitätswirtschafts AG bekommt ihren Oststrom sogar aus der Ukraine — die Tschernobyl-Reaktoren müssen dort weiterlaufen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) aus Wien spielt mit. Sie bestätigte den berüchtigten Pannenreaktoren vom Tschernobyl-Typ im litauischen Ignalina noch 1990, die Sicherheitssysteme der Meiler erreichten einen „international akzeptablen Stand“.
Die Atomgemeinde zeigt sich so als das, was sie ist: eine zynische Mischung aus Geldmachern, größenwahnsinniger Wissenschaft und willfährigen Politikern. Das entstehende Bild weist aber auch auf die einzige Schwäche des Buches hin. Selten liefern die AutorInnen ökonomische Analysen. Für das Osteuropageschäft wird dies noch geleistet. Für die deutsche Debatte um den sogenannten neuen energiepolitischen Konsens, mit dem Atomindustrie und Regierung auch mit dem Klimaargument die Akzeptanz der Atomkraft erhöhen will, gilt es kaum. Während die politische Logik der Debatte bis in die Verästelungen nachgezeichnet und die zentrale Rolle der SPD dargestellt wird, bleibt die ökonomische Logik des Ein- und Ausstiegs aus der Wiederaufarbeitung, des Aufstiegs und Falls der Atomkraftproduzenten im gesamten industrialisierten Westen schemenhaft.
Nur selten stößt man so direkt auf eine Begründung industrieller Strategie wie auf Seite 39: „Eine Reihe von Altmeilern sind für die Betreiber längst zu Goldgruben geworden: Früh und relativ billig gebaut, haben sie sich längst amortisiert und werfen deshalb beträchtliche Gewinne ab.“ Weshalb die Betreiber dieser AKWs ein besonderes Interesse am Weiterlaufen der alten Mühlen gegen alle politischen Widerstände haben.
Der etwas reißerische Titel des Buches verspricht die Darstellung und Analyse der „Neuen Offensive der Atomwirtschaft“. Er führt in die Irre. Das Buch selbst legt den Schluß nahe, daß es sich eher um ein letztes Aufbäumen der Atomindustrie denn eine Offensive handelt. Die Autoren selbst konstatieren „Überlebensangst“. Aufbäumen oder Offensive, dieses Buch ist Aufklärung im besten Sinn, es wird den Kampf der Atomwirtschaft ein gutes Stück aussichtsloser machen. Hermann-Josef Tenhagen
Gerd Rosenkranz, Irene Meichsner, Manfred Kriener: Die neue Offensive der Atomwirtschaft, C. H. Beck (München), 19.80 Mark.
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