■ Ostdeutschlands einzige Buchmacherin gibt auf: Zockerleid in Magdeburg
Magdeburg (taz) — „Mir war es egal, ob ich mein Geld bei einem Mann oder einer Frau gesetzt habe“, sagt ein Zocker. „Und besonderes Glück hat mir Lieselotte Müller auch nicht gebracht.“ Das wird sie auch künftig nicht tun. Denn Ostdeutschlands einzige Buchmacherin hat aufgegeben.
Aufatmen konnten die Zocker in Magdeburg nur noch, als gestern auf der Magdeburger Rennbahn Herrenkrug die Glocke zu dem Rennen am Saisonabschluß läutete. Da konnten sie am Totalisator noch einmal ihre Tips abgeben, während des Rennens um Form und Tempo ihrer Favoriten zittern und nach dem Einlauf den falsch ausgefüllten Wettschein als wütend zusammengeknüllten wertlosen Zettel auf den Boden werfen. Lieselotte Müller hat nicht wegen finanzieller Schwierigkeiten aufgegeben. Sie hat mit ihrer Annahmestelle schlichtweg kein Dach mehr über dem Kopf. Und deshalb verweigerte die Bezirksregierung Magdeburg jetzt die Verlängerung ihrer Konzession als Buchmacherin.
Ostdeutschlands einzige Buchmacherin ist auch jetzt noch liquide genug, um ihre Zocker, die mit ihren Tips auf Sieg und Platz richtig lagen, auszuzahlen. Was sie der Bezirksregierung auch nachweisen konnte.
Aber beim von der Behörde geforderten Mietvertrag mußte sie passen. Denn das Haus, in dem Lieselotte Müller auch vor der Wende schon als Angestellte des VEB Vollblutrennen Pferdewetten entgegennahm, ist verkauft. Es soll grundsaniert werden, die Wettannahmestelle mußte raus. Für manche ihrer Stammzocker endet damit ein wichtiger Abschnitt der Lebensorganisation. „Wo soll ich denn am Wochenende jetzt noch hin?“ fragt eine ältere Dame, die am Freitagnachmittag immer schon vor der Türe stand, wenn Lieselotte Müller kam. Und auch samstags und sonntags war sie regelmäßig da. Sie trank ihren Kaffee, fachsimpelte mit den anderen Zockern und setzte ab und an auch mal einen Fünfer. „Aber die Gesellschaft hier war für mich wichtiger als das Wetten“, sagt sie.
Lieselotte Müller würde weitermachen, wenn sie für ihre Wettannahme wieder Räumlichkeiten fände. Aber selbst der Geschäftsführer des Magdeburger Rennvereins, Jürgen Bobsien, gleichzeitig Berater der Magdeburger Wohnungswirtschaft, konnte oder wollte bislang nicht helfen. Womöglich aus Eigennutz? Die Totalisatoren auf der Rennbahn betreibt der Magdeburger Rennverein nämlich auf eigene Rechnung. Eberhard Löblich
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