: Frischzellenkur für Feminismusdebatte
■ Ein Buch zur gegenwärtigen Frauenbewegung in Lateinamerika
Als die Spanier unter der Führung von Hernan Cortes 1521 die Azteken besiegten, war eine Frau an ihrer Seite: Malinche. Die verstoßene Kazikentochter dolmetschte zwischen den Eroberern und den Indiovölkern und machte Cortes mit den Sitten und der Vorstellungswelt Mexikos vertraut.
Unter der Herrschaft der Spanier und Portugiesen wurden die in den Indiogesellschaften gleichberechtigten Frauen auf ihre Funktion als Gebärmaschinen reduziert. Indianerinnen und Mestizinnen bildeten den untersten Baustein der hispano-amerikanischen Machtpyramide, in der Geschlechtszugehörigkeit und Hautfarbe den Rang bestimmten.
Seit etwa zwanzig Jahren wackelt diese reaktionäre Hackordnung. Immer mehr lateinamerikanische Frauen brechen mit ihrer traditionellen Rolle, sind zwar oft weiterhin Mutter, Ehefrau, Hausfrau und Arbeiterin, nehmen aber auch ihr Recht auf politische Mitbestimmung in Anspruch. Seit 1981 lassen viele von ihnen im Zweijahresrhythmus Kochlöffel und Computer überhaupt stehen und liegen und versammeln sich bei den Feministinnentreffen Lateinamerikas. Die regionalen und nationalen Zusammentreffen sind schon kaum mehr zu zählen.
Viele der autonomen Zusammenschlüsse der Latinas und Caribenas sind aus überlebenstechnischen Notwendigkeiten entstanden (Frauen helfen einander bei der Nahrungsbeschaffung, verhelfen sich zu einer medizinischen Grundversorgung, alphabetisieren sich), andere aus der Erfahrung einer politischen Arbeit mit Männern. In vielen Parteien, auch in den linken, werden Frauen als Mitarbeiterinnen geschätzt, in Funktionen mit Entscheidungskompetenzen noch geduldet, ihr Engagement für geschlechtsspezifische Themen jedoch ist unerwünscht. Um sich für die Kriminalisierung von Vergewaltigungen einzusetzen, gegen Zwangssterilisationen, für eine Kreditvergabe an Frauen oder für deren Recht auf Landbesitz, gründeten die Parteigenossinnen vieler Länder eigene Fraktionen oder Interessenvertretungen.
Frauenbewegung in Lateinamerika: Gabriele Küppers, Mitarbeiterin der Informationsstelle Lateinamerika, hat anhand von rund 25 Einzelfällen in Interviews und Berichten dokumentiert, welche Aktionen Frauen zwischen Mexiko und Chile starten, was sie erreicht haben, erreichen wollen. „Feministamente“ heißt diese Textsammlung, die jetzt im Peter Hammer-Verlag erschienen ist. Die adverbiale Form des spanischen Wortes feminismo ist programmatisch zu verstehen: Die Handlungsorientierung rangiert in den hier skizzierten Fällen weit vor der Theoriebildung.
Feminismus in Lateinamerika heißt, an vielen Fronten zu kämpfen. Der erste Feind ist der Hunger, der Mangel. An zweiter Stelle folgt die diktatorische oder formaldemokratische Regierung, dann die ethnische Diskriminierung. Erst an vierter Stelle steht die Konfrontation mit dem Mann als Ehepartner und Kindesvater. Das unterscheidet die Verhältnisse jenseits des Atlantiks grundsätzlich von den hiesigen: Die Überwindung der geschlechtsspezifischen Hierarchie ist nur ein Ziel feministischer Organisationen. Vordringlich ist die Bewältigung weiblicher Überlebensprobleme — Themenbereiche, die in die allgemeine Politik miteinfließen sollen. Die wenigsten Organisationen nennen sich deswegen auch dezidiert „feministisch“, denn auf dem Kontinent des machismo muß feminismo sowohl auf die Männer als auch auf die Mehrheit der Frauen wie eine Kriegserklärung wirken. Wichtiger als die Bezeichnung ist die Breitenwirkung.
Ob sich in Kolumbien Ehefrauen von Arbeitern zur Unterstützung der Gewerkschaftsarbeit zusammenschließen und auf einen eigenen Laden sparen oder ob sich in Mexiko eine feministische Publizistik etabliert; ob über das Frauenhaus in Uruguay berichtet wird, den Wahlkampf einer mexikanischen Prostituierten oder ob parteigebundene Feministinnen in Brasilien oder auf Kuba zu Wort kommen — die Strukturen, Aufgaben und Ziele der Frauenorganisationen, die Küppers und ihre Mitarbeiterinnen vorstellen, reflektieren immer auch die politische und ökonomische Situation des jeweiligen Landes. Die spezifische Aufgabenstellung, die Basisorientiertheit und der Pragmatismus der in „Feministamente“ vorgestellten Projekte können als Frischzellenkur für so manche auf Begriffe fixierte feministische Diskussion hierzulande gelesen werden. Darüber hinaus ist das Buch aber auch ein aufschlußreicher Beitrag zur Sozialgeschichte Lateinamerikas. Entsprechend interessierten, auch nichtfeministischen weiblichen und männlichen Lesern ist er daher ebenfalls zu empfehlen. Petra Kohse
Gabi Küppers (Hg.): „Feministamente. Frauenbewegung in Lateinamerika“. Die spanischen Texte wurden übersetzt von Gabi Küppers u.a., Peter Hammer-Verlag 1992, 259 Seiten, 19,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen