: Cäsium 137 im Bahnhofsschließfach
Landeskriminalämter in Hessen und NRW decken Händel mit hochradioaktiven Materialien auf/ Außerdem werden 20 Kilogramm bombenbautaugliches Uran 235 vermißt ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) — Am Freitag gegen 23 Uhr haben Feuerwehrmänner in Strahlenschutzanzügen ein Schließfach im Hauptbahnhof der Mainmetropole Frankfurt aufgebrochen. Darin befand sich ein etwa thermoskannengroßer Bleibehälter. Sein brisanter Inhalt: exakt 20 Gramm des hochradioaktiven Stoffes Cäsium 137. Zeitgleich knackten Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) Hessen den Kofferraum eines Wagens mit polnischem Kennzeichen vor einem Hotel im Frankfurter Nordend. Und fanden 20 Gramm des Beta-Strahlers Strontium 90.
Beide Radionukleide sind Abfallprodukte der Kernspaltung in Atomkraftwerken und können bei kerntechnischen Experimenten zum Einsatz kommen. Strontium 90 spielt zudem in der Nuklearmedizin eine wichtige Rolle.
Ebenfalls in der Nacht zum Sonnabend wurden in Frankfurt fünf polnische Staatsbürger festgenommen, denen der Atomschmuggel angelastet wird. Zudem fahndet nach Angaben des Frankfurter Oberstaatsanwalts Hubert Harth ein Sonderkommando des LKA Nordrhein-Westfalen nach dem Verbleib von insgesamt 20 Kilogramm des waffenfähigen Uran235.
Nach dem Stand der Ermittlungen soll das radioaktive Material aus Atomanlagen in der GUS stammen. Am vergangenen Dienstag hatte das LKA-Hessen die Festnahme von drei polnischen Staatsbürgern und einem Deutschen in der Schweiz bekanntgegeben. Das Quartett habe zwei Gramm Cäsium 137, das vermutlich aus einem Atomkraftwerk in Litauen stammt, über Wiesbaden in die Schweiz geschmuggelt. Beim Transport des hochgefährlichen Materials in einem einfachen Blechbehälter erlitten zwei der Schmuggler „erhebliche Bestrahlungen“, so das Bundesumweltministerium gestern. Gesundheitsschäden seien bei ihnen bereits eingetreten.
Der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Die Grünen) sagte gestern, die Männer seien „bis auf den Tod verstrahlt“. Und auf Nachfrage hatte eine LKA- Sprecherin am Mittwoch gesagt, daß es nicht auszuschließen sei, daß auch andere Menschen, die mit dem Fahrzeug der Schmuggler in Berührung gekommen seien, „eine gewisse Strahlendosis abbekommen“ hätten.
Den Schmugglern war nach Ermittlungen der Schweizer Behörden das Metall als wertvolles Osmium deklariert übergeben worden, um es in der Schweiz zu einer metallurgischen Analyse zu bringen. Bundesumweltminister Klaus Töpfer warnte deshalb gestern entsprechende Forschungsinstitute vor Metallproben aus der GUS.
Wie Joschka Fischer gestern der taz mitteilte, ist das in Frankfurt sichergestellte Material „ordnungsgemäß verkapselt“ gewesen. Bereits außerhalb des Kofferraums des BMW sei keine erhöhte Strahlung mehr gemessen worden. Durch die zur Zeit durch Europa vagabundierenden radioaktiven Stoffe sei allerdings eine „völlig neue Bedrohungslage“ entstanden. Inzwischen hat die Bundesregierung mehrere osteuropäische Staaten aufgefordert, den Schmuggel mit radioaktiven Materialien durch „verschärfte Grenzkontrollen“ zu unterbinden. Die deutschen Botschafter in Polen, Rußland, Weißrußland, der Ukraine und den baltischen Staaten seien beauftragt worden, bei den Regierungen vorzusprechen. Fischer: „Das wird nicht ausreichen.“
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß als Abnehmer für derartige Mengen radioaktiver Stoffe nur Staaten in Frage kommen würden, die Interesse an der Entwicklung und dem Bau kerntechnischer Anlagen signalisiert hätten.
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