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Ein General nimmt übel

■ Eine Kurt-Tucholsky-Ausstellung im Schloß Rheinsberg

Der erste literarische Text, den Kurt Tucholsky veröffentlichte, hieß „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ und war eine Liebeserklärung auch an das gleichnamige Städtchen und Schloß. Das ist achtzig Jahre her. In eben diesem Schloß ist seit geraumer Zeit eine Ausstellung über Tucholskys Leben und Werk zu sehen, welche am Volkstrauertag 1990 auch von einem General leibhaftig beehrt wurde. Nun gefielen Tucholsky Generäle bekanntlich gar nicht, und so überrascht es zunächst nicht allzu sehr, daß dem General wiederum die Ausstellung nicht gefallen hat. Aber die Sache verhält sich ein wenig komplizierter. Denn der General ist nicht irgendeiner seines Standes, sondern der „Kommandierende General und Befehlshaber des Territorialkommandos Ost“, und in einem Brief an den Bürgermeister der Stadt Rheinsberg äußert er das dringende Verlangen, die Ausstellung möge „dem Müllhaufen der Geschichte“ überantwortet werden. Immerhin, fast zwei Jahre hat der Tucholsky-Kenner nachgedacht, als welcher sich der hohe Soldat gleich im zweiten Absatz seines Briefes zu erkennen gibt. Am 8.September 1992 aber hielt er den Zeitpunkt für gekommen, den Bürgermeister auf das Unheil hinzuweisen, welches in den „Köpfen der jungen Männer, die in der Bundeswehr Dienst tun und in Brandenburg wohnen“, droht. Denn: „Es scheint nicht bekannt zu sein, daß die Bundeswehr aus dem verordneten Feindbild im schnellen Wandel der Zeit zum guten Nachbarn der Bürger von Rheinsberg geworden ist; zu den Streitkräften, in denen die wehrpflichtigen Söhne ihren Wehrdienst leisten, wobei sie der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen geloben.“

Da eben scheint auch des Pudels Kern zu liegen. Sind doch neben den literarischen und biographischen Zeugnissen zum Autor selbst auch allerhand bildliche Verweise auf die Geschichte der Bundesrepublik zu sehen, worunter sich Abbildungen von Atomkraftgegnern, aber auch solche von Bundeswehr-Gelöbnissen befinden. Nicht den Versuch freilich, die Aktualität der Kritik des Pazifisten Tucholsky an einer immer noch nicht zivilen Gesellschaft optisch zu bekräftigen, erkennt der General in solchen Exponaten. Vielmehr will ihm scheinen, daß hier „Kurt Tucholsky und sein Werk als Hintergrund für die Agitation des SED-Staates gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Bundeswehr (...) in penetranter und primitiver Machart“ mißbraucht werden. Klarer Fall: Die Ausstellung ist eine Ausgeburt des doch eben gerade hinweggefegten totalitären Ungeistes, welcher nun im Schloß zu Rheinsberg offenbar schon wieder sein keckes Haupt erhebt. Sein Agent: natürlich der Ausstellungsmacher. Aufzuklären sind daher schleunigst dessen „Rolle“ und „Legitimation“ in der gewesenen DDR, damit dem schändlichen Treiben ein für allemal Einhalt geboten werden kann.

Da wir unsere Informationspflicht ernst nehmen, wollen wir dem Literaturliebhaber mit folgenden Mitteilungen aushelfen: Die Ausstellung wurde erarbeitet und eingerichtet von dem westdeutschen Tucholsky-Forscher Richard von Soldenhoff. Sie ist identisch mit derjenigen, die 1985 im Künstlerhaus in Wien gezeigt und von der dortigen Presse besonders wegen des „Verzichts auf Sensationen und Extravaganzen“ gelobt wurde. Die Bundesrepublik Deutschland fungierte als Veranstalterin, und das Auswärtige Amt in Bonn empfahl seinen Botschaften und Konsulaten in Frankreich und Belgien die Ausstellung als „besonders wertvoll“.

So weit die Fakten. Und vielleicht dies noch: Wie aus Rheinsberg zu hören ist, plant die Bundeswehr dort eine Fahnenweihe — im Ehrenhof des besagten Schlosses. fmg

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