: 120 Jahre soll er leben!
■ Amos Oz: klug, charmant, voll boshafter Ironie. Eine Hommage.
Berlin (taz) - Amos Oz ist ein wunderbarer Mann - das muß jetzt einmal gesagt und nicht für einen Nachruf aufgespart werden (120 Jahre soll er leben!). Er ist charmant, klug, good looking, seine Ironie hat absurden Witz und boshafte Schärfe, menschlich ist er, und Romane schreiben kann er auch. Vor einer Woche hat er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen. Jetzt hat er Pressegespräche und Fototermine hier und dort und jeden Abend eine Lesung aus seinem neuen Buch „Der dritte Zustand“, anschließend stundenlange Signiererei und repräsentativer Empfang. Und bei all dem bleibt er souverän, auch wenn die Fragen selten an den Schriftsteller, sondern meist an den Friedensaktivisten gerichtet sind und immer ähnlich bleiben. So wie letzte Woche, im großen Saal der Jüdischen Gemeinde zu Berlin: Was halten Sie von Deutschland, vom Ausländerhaß und Antisemitismus, von Ministerpräsident Rabin und überhaupt von der Weltpolitik, ganz speziell von Osteuropa?
Und nie bleibt Amos Oz die Antwort schuldig, vielleicht wird sie nur pragmatischer, verglichen mit der Rede, die er in der Frankfurter Paulskirche gehalten hat. Dort hat er nämlich unter dem Schock des Brandanschlages auf das Konzentrationslager Sachsenhausen sein Manuskript um einen Passus verlängert. „Der Brandanschlag sollte wohl darauf zielen, die monströse Vergangenheit Deutschlands auszulöschen. Aber nicht die Vergangenheit wird in Sachsenhausen verbrannt - die Vergangenheit, Ihre wie auch unsere, kann man nicht verbrennen. Nein, in Gefahr, Feuer zu fangen, sind Deutschlands Gegenwart und Zukunft. Heute hat Deutschland nicht nur die Pflicht, den Einwanderern Schutz zu gewähren und jüdische Gedenkstätten zu schützen- heute sind die Deutschen mit der unabweisbaren Herausforderung konfrontiert, sich selbst gegen gewalttätigen Rassismus und Gleichgültigkeit zu verteidigen.“
Diesen Satz variiert Amos Oz in der Jüdischen Gemeinde, beim Pressegespräch und immer wieder und immer engagiert, und jeder weiß: Amos Oz ist der Sohn osteuropäischer Eltern, die gerade noch einmal davongekommen sind, weil sie in den dreißiger Jahren von Polen nach Palästina flüchten konnten. „Deutschland befindet sich in einem ganz schwierigen Kampf mit sich selbst“, sagt er. Der Rassismus, der Haß und die Gewalt, das treffe nicht nur die Flüchtlinge, die Juden, „es soll die ganze Gesellschaft treffen“. Er sei nicht nach Deutschland gekommen, um zu sagen, was die Deutschen tun müssen, aber er sei gekommen, um zu sagen, „daß sie etwas tun müssen“. Bewältigt werden könne diese „schwierige, schmerzvolle Zeit“ nur, wenn jeder persönlich darauf reagiere. Rassisten und Fanatiker gebe es in jedem Land. Aber wo seien hier die Menschen, „die gegen den Haß auf die Straße gehen“, und die angegriffenen Menschen, die „also auch sich selbst verteidigen“? Die Sorge um Frieden und Humanität dürfe man nicht an die Politiker und Behörden wegdelegieren, diese Herausforderung müsse „jeder für sich selbst annehmen“. Daß die Geschichte sich wiederhole, daß das Deutschland von heute mit dem der Weimarer Republik vergleichbar wäre, dies glaube er nicht, meinte er wenige Stunden vor der Lesung zu Journalisten. Die Geschichte bewege sich nicht in einem fatalistischen Kreis und auch nicht linear „from the dark to the light“, von der Demokratie in die Diktatur, von der Menschlichkeit in die Unmenschlichkeit. „Die Erinnerung an die Nazizeit tragen die Deutschen in ihren Genen.“ Wenn sie in die Zukunft schauen, dann sehen sie der „Vergangenheit ins Auge“. Nicht jede Kritik an Israel, an den Juden, sei antisemitisch, vor dem inflationären Gebrauch dieses Vorurteils könne er nur warnen. Und einmal zittert seine Stimme, bricht fast ab, als ein Journalist ihn fragt, warum er den Begriff „Holocoust“ und „Shoa“ nicht benutzen möchte, um die Verbrechen der Nazis zu beschreiben. Der Holocaust, die Shoa, sagt er, bedeutet die Auslöschung eines Volkes. Ein Unglück vom Himmel, ein Naturereignis wie ein Erdbeben könne auch ein Volk vernichten. Wenn man aber Auschwitz Shoa nenne, werde die Geschichte verharmlost. „It takes away the monstrous crime.“ Man müsse es nennen, was es war: „Massenmord an Millionen“.
Amos Oz, zitierte der israelische Generalkonsul Levy den Außenminister Kinkel, „könnte vielleicht der nächste israelische Außenminister werden“. Diese Frage habe er auch schon mit Vaclav Havel besprochen, ergänzte Oz, aber dann sei man übereingekommen, daß es „zivilisationsschädigend sei, wenn die Schriftsteller die Politik machten und es den Politikern überließen, die Romane zu schreiben“. Er möchte es lieber bei der alten Rollenverteilung lassen. Wenn er eine klare Meinung zu aktuellen Problemen habe, mische er sich ein und schreibe Artikel. Wenn die Lage verworren, ambivalent, gut und böse, eben schwierig sei und er keine Lösung finde, dann schreibe er einen Roman. Das sei der „Dritte Zustand“. Den vierten Zustand habe er sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa erhofft. Einen humanitären Sozialismus, jenseits von darwinistischer Margret-Thatcher-Ideologie, gesichtsloser Bürokratie und religiösem Fanatismus. Anita Kugler
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